So sieht er aus, der unfolgsame, unberechenbare Amrock-Hahn.

Foto: Woltron

Der erste Angriff kam unerwartet und von hinten, und da der Mensch blödsinnig seine Moralvorstellungen auf Tiere zu übertragen geneigt ist, war ich erst erschüttert und schließlich tief gekränkt.

Undankbares Gfrast von einem Gockel! Feinste Nudeln reicht man dir, Bio-Kukuruz und Weizen kriegst du gestreut und mit Milch benetztes Knödelbrot. Damit's in der Hendlkehle ja nicht kratzt. Sieben prächtige Hennen gönnt man dir, damit du auch lustvoll dein Auslangen hast. Und dann peckst du die Hand, die dich täglich füttert, du fettgefressenes Federvieh?

Aber was heißt pecken. Wenn vier Kilo Hahn im Flug angreifen, weiß man nachher nicht, was die Wunden geschlagen hat. War's der Schnabel, waren's die Krallen, die Sporen? Letztere werden noch deutlich länger, immerhin ist der Hahn noch jung.

Er muss also erzogen werden, und das Erste, was die Hahnenpädagogik erfordert, ist ein Einfühlen in die Gockelseele. Also: sofortige Abkehr von der menschgemachten Moral, die im Übrigen ohnehin allerorten im Schweinsgalopp entschwindet. Der Hahn hingegen tut nur das, wofür die Evolution ihn geformt hat: Er verteidigt seine Hennen.

Ein Held der Hühner

So gesehen, ist er ein braver, guter, ja ein nachgerade vorbildlicher Hahn. Ein Held der Hühner. Nur bin ich weder Huhn noch Fuchs noch Habicht und mag mich nicht ständig quer durch meinen eigenen Garten jagen und verdreschen lassen, bis Blut aus Wunden fließt, die er durch mehrere Lagen Kleidung zu schlagen imstande ist.

Friedrich, sprach ich also in einer Phase relativen Friedens zu ihm über den Hühnerzaun hinweg, du musst deine Lektion lernen. Es wird schmerzlich, diesmal allerdings für dich. Ab sofort gilt Folgendes: Ich bin der Haupthahn. Du bist das Hähnchen. Meine Sporen sind der Laubrechen.

Ich ruderte zur Einstimmung auf den Kampf mit dem schönen, großen und, ehrlich gestanden, furchterregenden Amrock-Hahn ein wenig mit den Armen. Um ihn zu beeindrucken und mir Mut zu machen. Er schlug sofort mit den Flügeln und krähte. Ich nicht. Die erste Runde ging eindeutig an ihn, und er begann mit den typischen Seitentrippelschritten seinen Angriff. Nur dank Laubrechens konnte er vom Leib gehalten werden bis er den Angriff aufgab - und mir kam vor, als sei diesmal er in der Rolle des Erstaunten und Gekränkten.

Ein paar Mal wiederholte sich in den folgenden Tagen diese Szenerie. Betreten der Hühnerzone ohne Laubrechen nicht empfohlen! Nach zwei Wochen wusste der daunenflauschige Prachtdepp immer noch nicht, wer der Hahn im Haus ist. Und als er dann wieder von hinten angriff, hörte ich mich zu meinem eigenen Erstaunen ziemlich laut brüllen: Pass auf, mit wem du dich anlegst, du Aas. Sodann flogen die Federn, weil sich Friedrich plötzlich in der Situation des Gejagten wiederfand, und zwar quer durch den gesamten Obstgarten.

Was soll man sagen: Ende der Angriffe. Vorerst. Wenn er sich wieder traut, gibt's wieder Watschen. So funktioniert das nämlich. Die Welt ist ein gewalttätiges Paradies, hat schon einmal einer gesagt. Keinem Frieden ist zu trauen. Machtspiele allerorten, die Moral ist abgeschafft. Und Gockel ohne Ende. (Ute Woltron/Der Standard/rondo/20/11/2009)