Fischdose mit Kultstatus: Die Nuri gehört zur austriakischen Imbiss-Tradition wie der Gabelbissen oder das kleine Gulasch.

Foto: Georg Desrues
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Matosinhos ist ein Vorort von Porto und von jeher ein bedeutender Fischereihafen. Anfang des letzten Jahrhunderts siedelten sich hier zahlreiche Konservenfabriken an, um den frisch angelieferten Fisch - vor allem Sardinen - in Dosen zu packen und haltbar zu machen. Heute sind die meisten dieser Fabriken entweder industrialisiert oder aber zu Wohnungen, Lofts, Galerien oder Restaurants umgewandelt.

Nicht so die Fábrica de Conservas Pinhais. An ihr scheint die Zeit spurlos vorübergegangen zu sein. Man betritt das Gebäude aus dem Jahr 1920 durch einen gekachelten Raum, von dem aus eine geschwungene, hölzerne Treppe in die Chefetage zum Büro des Besitzers führt. Antonio Pinhal ist Sardinenfabrikant in dritter Generation. Er öffnet ein Fenster, das den Blick auf die Arbeitsstätte seiner 140 Angestellten - darunter 120 Frauen - erlaubt. Diese stellen hier, am westlichsten Zipfel Europas, in Handarbeit ein Produkt mit Kultstatus her, das genauso zum Inventar der österreichischen Imbisslandschaft gehört wie Warhaneks Teufelsroller, Ramsas Englischer Spezialsenf oder Manner Schnitten: die pikante Ölsardine namens Nuri.

Arbeitsintensives wie einzigartiges Procedere

Denn die werden zwar nicht ausschließlich, aber doch hauptsächlich nach Österreich exportiert - und zwar seit Generationen. Dass sie bis heute nach einem ebenso arbeitsintensiven wie einzigartigen Procedere hergestellt werden, erkennt man am Geschmack - oder beim Besuch der Fabrik.

"Das Geheimnis einer guten Dosensardine" erklärt Senhor Pinhal, "liegt in der Frische des Fisches." Darum würden bei Pinhais - und im Gegensatz zur industriellen Konkurrenz, die mit Tiefkühlware arbeitet - ausschließlich Sardinen verpackt, die am Morgen selbst vor den Küsten Portugals gefangen wurden. Außerdem wird der gesamte Arbeitsablauf in Handarbeit verrichtet - vom Ausnehmen der Fische über das Einlegen, das Befüllen mit den Gewürzen und Öl bis zur Verpackung.

Nachdem eine Gruppe von Frauen die Fische von Innereien und Köpfen befreit hat, werden sie von einer weiteren Gruppe in Grillgitter gesteckt und in den Ofen geschoben - ein Arbeitsgang, den sich die Konkurrenz meistens erspart, da die Dosen nach dem Füllen sowieso sterilisiert (und damit auf mehr als 100 Grad erhitzt) werden. Bei Pinhais aber gilt das Grillen der Fische als essenzieller, unabdingbarer Bestandteil einer Firmenpolitik: "Wir machen das seit 90 Jahren so, weil es einfach besser schmeckt."

Jede Dame hat ein Gewürz über - exklusiv

"Während ein industrieller Hersteller mit drei bis vier Arbeitsgängen auskommt, brauchen wir vierzehn", erklärt Pinhal mit der charakteristischen Leidenschaft des Qualitätsfetischisten. Noch bevor der Fisch in die Dosen kommt, wollen diese mit dem bestückt werden, was die "Nuri-Sardinen in scharf gewürztem Olivenöl" eigentlich ausmacht: die Gewürze. Es sind derer sechs, und jede der Damen am Tisch ist nur für ein einziges zuständig. Eine Arbeitskraft nur für das Lorbeerblatt, eine weitere für die Gurkenscheibe, eine für die Gewürznelke, eine für die Karotte, eine andere für das einzelne Pfefferkorn und schließlich eine für das Markenzeichen der Sardinen: den kleinen, roten Chili, den die Portugiesen Piri-Piri nennen.

Vorbereitet werden die Ingredienzien ein paar Tische weiter. Dort sitzt eine Dame vor einem Berg Essiggurken, den sie mit einem kleinen Messer bearbeitet, neben einer, die den Piri-Piris die Stängel ausreißt. Dahinter steht eine dritte, einen Sack Karotten zur Seite, von denen sie jede einzelne durch eine Art Wurstschneider mit Handkurbel dreht. Das ist aber auch schon - neben dem mechanischen Gerät zum Verschließen der Büchsen - die einzige Maschine im Raum.

Doch bevor der Deckel auf die von Frauenhand gefüllten Dosen kommt, werden sie in kleine Stöße geschlichtet, von den kräftigen Händen einer weiteren Mitarbeiterin ergriffen und in eine Wanne mit portugiesischem Olivenöl getaucht.

Für den Export nach Österreich wird das fertige, verschlossene und sterilisierte Produkt zuerst in Papier und danach in Zellophan gewickelt - per Hand, versteht sich. Auf die Frage, warum das so sei, antwortet Pinhal, dass der Kunde in Österreich "das eben so wünsche". Dazu Jakob Glatz, Chef der gleichnamigen Wiener Firma, die seit mehr als vierzig Jahren die Nuri importiert: "Mein Großvater und Pinhals Vater haben das Produkt damals gemeinsam kreiert, und zu der Zeit war es einfach üblich, Dosen in Papier und Zellophan zu packen."

Aufwändiges Einbandpapier

Mehr als die Hälfte der Produktion - nämlich 3.400.000 Dosen jährlich - gehen in die Alpenrepublik, der Rest hauptsächlich nach Italien, wo Name und Aussehen zwar gleich sind, die Dosen jedoch bedruckt werden. Das aufwändige, doppelte Einbandpapier bleibt dem österreichischen Markt vorbehalten.

Nach dem Ursprung des orientalisch anmutenden Namen befragt, gibt sich Pinhal geheimnisvoll romantisch: "Es war der Name eines sehr schönen Mädchens." Der scheint in anderen Ländern nicht so zu ziehen und so exportiert Pinhal dorthin und bis nach Amerika, mit verändertem Design und unter dem Namen "Pinhais & CO." Nur in Portugal vertreibt er überhaupt nicht: Die portugiesischen Handelsketten seien einfach zu knauserig und hätten für Qualität zu wenig übrig, beklagt er sich. Wer seine Sardinen in Portugal kaufen möchte, der müsse eben zu ihm kommen, nach Matosinhos.

Qualität hat nun einmal ihren Preis, für Nuri-Sardinen liegt er bei eineinhalb Euro. Dafür bekommt man ein handwerklich gefertigtes Produkt aus einem Fisch, dessen Bestände nicht bedroht sind und das außerdem - neben einer Menge wertvoller Omega 3 Fettsäuren, Kalzium, Eisen und Magnesium - auch noch Olivenöl und die sechs Gewürze enthält. (Georg Desrues/Der Standard/rondo/13/11/2009)