Designer Jasper Morrison und sein "Cork chair", der in einer limitierten Auflage aus recycelten Weinstöpseln von Vitra produziert wurde.

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Einer der neuen "r5.5"-Chronografen von Rado.

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Michael Hausenblas sprach mit ihm über Image, Dinnerpartys und ein Monster namens Mailänder Möbelmesse.

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DER STANDARD: Sind Sie oft unpünktlich?

Jasper Morrison: Gute Frage, meinen Sie bei Verabredungen oder bei der Abgabe von Projekten?

DER STANDARD: Bei Verabredungen.

Morrison: Nicht sehr oft. Bei Projekten ist das eine andere Sache.

DER STANDARD: Hat sich die Rolle der Uhr in Zeiten, da jeder ein Handy bei sich hat oder die Zeit auf dem Computerbildschirm sehen kann, verändert?

Morrison: Auf jeden Fall. Man sieht die Zeit zu jeder Zeit an jedem Ort. Heute morgen hat mir jemand von Rado gesagt, er trägt seine Uhr eigentlich gar nicht, um die Zeit ablesen zu können. Ich tu das schon. Ich denke, es ist besser so.

DER STANDARD: Aber unterm Strich wird die Uhr doch mehr und mehr zum Accessoire?

Morrison: Ja, vor allem bei Männern. Die Uhr ist eines der wenigen Accessoires, das ein Mann tragen kann, ohne sich dumm vorkommen zu müssen.

DER STANDARD: Schauen Sie oft auf die Uhr?

Morrison: Jetzt schon.

DER STANDARD: Weil die Uhr neu ist?

Morrison: Wenn du ein neues Produkt herausgebracht hast, ist es einfach großartig, es zu berühren, darüber nachzudenken, was gut daran ist oder was man vielleicht doch hätte anders machen können.

DER STANDARD: Gilt das auch für das Design einer Kaffeemaschine?

Morrison: Ja. Das ist dasselbe. Es ist einfach der beste Weg zu lernen. Du erfährst sozusagen aus erster Hand, ob du einen guten Job gemacht hast.

DER STANDARD: Die Uhrenbranche steht nicht für Namen großer Designer. Warum ist das Design von Uhren in der Regel etwas Anonymes? Denken Sie, es hat damit zu tun, dass man neben dem großen Markennamen keinen großen Designernamen haben will.

Morrison: Das kann sein. Ich denke, es hat auch mit Tradition zu tun. Wenn ein Designer eine Uhr machen, will gibt es eigentlich keine Möglichkeit, ein Unternehmen zu finden, dass mitmacht. Mir fällt nicht wirklich eines ein.

DER STANDARD: Bei Uhren geht es sehr viel um Image. Wer einen auf Pilot machen will, kauft sich eine IWC, wer im Spiegel lieber Steve McQueen sehen würde, der landet wahrscheinlich bei Tag Heuer. Welches Image kauf ich mit Ihrer Uhr?

Morrison: Das können Sie sich aussuchen. Also es hat nichts mit Golf, Rennfahren oder Tauchen zu tun. Wenn ich Uhren in Auslagen betrachte, dann frag ich mich: Würd ich mir diese kaufen, oder jene? Normalerweise finde ich sie zu groß oder zu übertrieben. Meine Uhr soll elegant sein, aber auch diskret.

DER STANDARD: So haben Sie sich einfach Ihre eigene Uhr designt? Klingt nach einem guten Job.

Morrison: Es ist der beste und der direkteste, zu den Dingen zu kommen, die man haben möchte.

DER STANDARD: Was ist schwieriger zu gestalten, eine Uhr oder ein Sessel?

Morrison: Die Arbeit an Sesseln ist Alltag, zurzeit arbeiten wir an 15 verschiedenen. Es ist so, als wäre man Jazzmusiker und würde jeden Tag Jazz spielen. Ich hab meine Hausaufgaben gemacht, viel Erfahrung gesammelt und gelernt. Uhren sind etwas Neues für mich.

DER STANDARD: Ihre Formensprache ist geprägt durch Klarheit und Reduktion. Die Zeiten im Design standen in den letzten Jahren eher auf wild gemixt, laut und experimentell.

Morrison: Ich glaube, das Übertriebene kommt zu einem Ende. Ich denke auch, die Designszene konzentriert sich wieder mehr auf Dinge, die tiefer gehen und aufrichtiger sind. Es ist Zeit für das Design, wieder ein Stück erwachsener zu werden und sich daran zu erinnern, dass wir für Menschen gestalten, nicht für Medienpräsenz.

DER STANDARD: Sie gehören seit gut 20 Jahren zur Riege internationaler Topdesigner. Was änderte sich während dieser Zeit?

Morrison: Jede Menge. Als ich in den 80ern in England zu Dinnerpartys ging und man mich fragte, was ich so tue, sagte ich, ich sei Designer. Die nächste Frage war, wo meine Werkstatt sei. Ich wurde als eine Art Tischler betrachtet. Es gab auch in der Steuererklärung keine Kategorie Designer. Da steht heute noch Möbelrestaurator drinnen. Zur Mailänder Möbelmesse kamen eine Handvoll Journalisten. Heute ist die Messe ein Monster.

DER STANDARD: Erschreckt Sie dieses Monster?

Morrison: Vieles hat sich zum Guten entwickelt, aber vieles wurde auch vom Marketing aufgefressen. Der Markt hat in dieser Zeit entdeckt, wie man Design als Marketingwerkzeug benützen kann. Da steckt einfach sehr viel Oberflächlichkeit drin.

DER STANDARD: Und wie geht's weiter?

Morrison: Es geht so lange so weiter, bis die Menschen die Nase voll davon haben. Und das wird wohl noch ein Weilchen dauern. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.

DER STANDARD: Mit Ihrem Kollegen Naoto Fukasawa entwickelten Sie ein Ausstellungs- und Publikationsprojekt namens "Super Normal". Würden Sie sich als "Super Normal" bezeichnen?

Morrison: Ich versuche, es zu sein.

DER STANDARD: Was ist "Super Normal"?

Morrison: In der Zeit, bevor sich alles ums Marketing drehte, gestaltete man ein Kaffee oder eine Wäscherei oder was auch immer auf eine normale, irgendwie unschuldige Art und Weise. Dasselbe galt für Produkte. Ein Wasserglas war einfach ein Wasserglas. Und irgendwann musste alles irgendwie gehypt werden. Ich glaube, wir haben etwas von dieser Unschuld, von diesem Respekt verloren und wir können nicht zu dieser Normalität zurückkehren. Gleichzeitig bräuchten wir diese mehr denn je. Wir können nicht in einer Welt leben, in der alles irgendwie speziell oder besonders sein muss. Das ist entsetzlich und künstlich.

DER STANDARD: Wann ist ein Produkt normal?

Morrison: Objekte sollen eine gute Atmosphäre schaffen, man soll mit ihnen leben, sie langfristig gebrauchen können, es geht nicht um Mode. Es geht um Objekte, die über ihre äußerlichen Qualitäten, über den ersten Anblick hinausgehen sollen. Sie dürfen nicht nur für den Gewinn von irgendjemandem geschaffen werden. Manchmal entdecke ich fantastische Qualitäten erst, wenn ich ein Objekt schon jahrelang ganz selbstverständlich gebraucht habe.

DER STANDARD: Glauben Sie, man kann dieses Erkennen lernen?

Morrison: Ja, ich glaube schon. Jeder trägt das in sich. Jeder besitzt Objekte, ohne die er nicht leben möchte. Man kann dieses Erkennen auch üben. Man sollte sich nicht täuschen lassen von Inszenierungen, von Trendsprüchen, die einem sagen, was und wie es kommen wird. Wenn ich einen Sessel nach zehn Jahren noch mag, was ist falsch daran? Und wenn ich ihn nicht mehr mag, ist es auch okay. Eine gute Atmosphäre entsteht durch eine persönliche Auswahl von guten Produkten. (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/16/10/2009)