Nils Holger Moormann

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"Berge" nennt sich Moormanns jüngster Streich. Ein Hotel zum "Runterkommen" im Chiemgau, dessen Appartements Namen wie "Sommerloch" oder "Bergebude" tragen. Zu sehen ist eine Urskizze für die "Winterstube".

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Den Sager von der "Krise als Chance" mag er nicht, und doch denkt er genau in diese Richtung.

DER STANDARD: Heute schon an die Wirtschaftskrise gedacht?

Nils Holger Moormann: Bis gerade eben nicht. Ich komme mir ein bisschen vor wie ein Kapitän auf hoher See. Ich bitte die Mannschaft und die Passagiere auf die Stationen, aber es passiert nichts. Die See ist ruhig. Das Geschäft läuft gut. Aber wenn du im Funk immer nur SOS hörst, dann muss man den doppelten unternehmerischen Mut haben, um etwas weiterzubringen.

DER STANDARD: Angeblich ist Ihnen Geld egal. Wie das?

Moormann: Das kann man so nicht sagen. Ich bin in meiner Firma verhasst, weil ich jede Glühbirne austausche, die eine zu hohe Watt-Anzahl hat, also so sehr aufs Geld schaue. Das liegt vielleicht an meinen schwäbischen Genen. Auf der anderen Seite glaube ich, dass man auch spinnen muss, loslassen muss, um gewisse Ziele zu erreichen. Man muss also beides in sich haben. Geld ist für viele Projekte ein Regulativ, das Angst macht. Am Anfang eines Projektes weiß man ja nie, was los ist. Mich interessiert an diesem Punkt nicht der Erfolg, sondern herauszufinden, ob mir das Freude macht, ob es Potenzial hat usw.

DER STANDARD: Was macht ein Möbel erfolgreich?

Moormann: Nach 30 Jahren in diesem Job kann ich immer noch nicht sagen, welches Möbel ein Erfolgsstück werden könnte. Jedes Mal, wenn ich der Meinung war, 'das ist jetzt super', dann war das betreffende Stück meistens am Markt nichts wert. Andere, unvernünftig erscheinende, spielerische Objekte laufen dagegen manchmal ganz wunderbar. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen.

DER STANDARD: Welchen Einfluss hat die wirtschaftliche Situation auf das eigentliche Design?

Moormann: In den letzten zehn, 15 Jahren gab es viel zu wenige inhabergeführte Firmen. Da gab es einen dramatischen Rückgang. Irgendein Trendforscher sagte, der Interieur-Bereich sei hochinteressant und hochprofitabel, woraufhin viele große Einheiten entstanden. Schauen Sie nach Italien. Cappellini, Alias etc. sind alle in einer Gruppe aufgegangen. Das heißt, das Geld hat viel zu viel Einfluss, was zur Folge hat, dass keine polarisierenden Designs mehr entstehen. Wenn die Stimmung dann auch noch schlecht ist, dann macht man auch keine großen Sprünge mehr.

DER STANDARD: Das heißt, in Ihnen kämpft der Designer gegen den Unternehmer und umgekehrt?

Moormann: Auf jeden Fall. Wenn ich Erfolg in meinem Leben hatte, lag das auf der einen Seite an Leidenschaft, Haltung und Konsequenz. Kreativität, Proportion und Ästhetik bescheren mir ein unglaubliches Glücksgefühl. Andererseits hab ich in mir diesen stetig kontrollierenden inneren Mahner, der mich fragt, 'gell, du weißt schon, was du tust?'. Ein Kunstflieger kann auch nur den Looping wagen, wenn die Wartung seines Fliegers passt. Es gibt halt leider Menschen, die vergessen, die Tragflächen anzuschrauben. Und andere, die träumen nur, heben aber nie ab. Bei mir scheint die kreative Seite die ausgeprägtere zu sein. Ihr darf ich folgen. Das empfinde ich als großes Lebensglück.

DER STANDARD: Wirkt sich die Krise auf die Möbelbranche anders aus als auf die Bereiche Mode oder Auto?

Moormann: Meiner Meinung nach ist in unserer Branche die Krise noch gar nicht richtig angekommen, sehen wir jetzt mal von der Einrichtung großer Objekte wie Firmenzentralen ab. Das kommt zeitverzögert.

DER STANDARD: Aber die Zahlen sind rückläufig.

Moormann: Aber nicht dramatisch, wenn man es mit anderen Branchen vergleicht. Der Möbelindustrie geht es seit Jahren nicht so gut. Aber die Menschen sagen auch, 'ach, jetzt leist ich mir noch was, solange es noch geht.' Das bedingt, dass sich die Menschen ein wenig mehr in die eigenen vier Wände zurückziehen. Außerdem ist das ja nicht die erste Krise.

DER STANDARD: Aber niemand weiß so recht, wie sich das alles weiterentwickelt.

Moormann: Das ist ja das Problem, das macht ja die Angst. Ansonsten finde ich eine Krise wirklich nicht schlimm. Die Frage lautet, 'wann hört denn der Scheiß einmal auf'? Das macht es auch so schwierig gegenzusteuern. Als kleine Firma hast du einen kürzeren Kiel und kommst auch in seichtem Gewässer noch eher voran. Den großen Einheiten in Italien sind ja ganze Exportmärkte weggebrochen. Und die Unterstützung der Banken ist heute natürlich auch ein Riesenproblem. Es ist schon ungut.

DER STANDARD: Sie sagten auf der Mailänder Möbelmesse angesichts des massenhaften Angebots, "das Ganze sei so, als lehne man sich nach einem vorzüglichen Fünf-Gänge-Menü zurück und bekäme dann gleich noch einmal sieben Gänge serviert". Wird die Krise für eine Entschlackung sorgen?

Moormann: Ich hab das Gerede von der "Krise als Chance" nicht gern. Aber es ist schon was dran. Es ist eine große Chance da. Die Märkte verstopfen immer mehr, nicht nur durch die Krise. Der klassische Einzelhandel ist ja fast nicht mehr existent. Die Städte veröden diesbezüglich, und die Möbelhäuser werden immer größer. Die Krise wird uns hoffentlich helfen, dass wir bewusster durchs Leben gehen.

DER STANDARD: Und wie wirkt sich das auf die Konsumlandschaft aus?

Moormann: Ich hab keine Lösung, wie man den Konsum abschaffen könnte. Konsum ist ja auch was Wunderbares. Wir leben ja alle davon. Aber es kann halt auch nicht so weitergehen. Pausenlos werden neue Produkte in den Markt hineingepeitscht – mit dem Effekt, dass auch gute Sachen einfach weggespült werden. Ein guter Entwurf braucht seine Zeit, bis er im Markt ankommt. Nur so kommt man auch zu einer Nachhaltigkeit. Ich denke, diesbezüglich ändern sich die Zeiten. Außerdem beginnt auch der Verbraucher, mehr zu fragen. Die Verführung wird schwieriger. Mich persönlich macht das froh und zuversichtlich.

DER STANDARD: Das klingt etwas weltverbesserisch.

Moormann: Wir müssen diese Entschleunigung hinkriegen. Das angesprochene Fünf-Gänge-Menü ist etwas Wunderbares, aber es kann auch ein großes Glück sein, ein gutes Butterbrot mit Salz und Schnittlauch zu essen. Beides sollte möglich sein.

DER STANDARD: Könnten Sie sich vorstellen, mit Ikea einen Designer zu teilen? Immerhin hatten Sie den Riesen einmal erfolgreich verklagt.

Moormann: Das ist eine Frage! Ja, kann ich. Warum eigentlich nicht? Ich würde gern einmal mit ein paar Leuten von Ikea ein paar Biere trinken. Vielleicht gäbe es da wirklich Synergieeffekte.

DER STANDARD: Sie eröffneten ein Hotel namens "Berge", das Sie lieber als Herberge bezeichnen, direkt an einer Bundesstraße im bayerischen Aschau. Die Zimmer heißen "Bergebude" oder "Sommerloch". Darf man davon ausgehen, dass es so ungewöhnlich ist wie viele Ihrer Möbel?

Moormann: Das Hotel war im Prinzip schon bei seiner Übernahme in einem trostlosen Zustand eröffnet. Damals nannte ich es noch "Grand Hotel Aussichtslos". Ich sehe das Haus als Work-in-progress. Am Anfang konnte man darin für einen Euro übernachten, da gab es noch nicht mal Böden drin. Die Gäste waren auch involviert und sind zum Teil mit Bauhelmen herumgelaufen. Auch dieses Projekt ist nicht aus einem Management-Plan entstanden, sondern aus einer gescheiterten Idee. Ursprünglich hätte das unser neues Lager werden sollen. Ungewöhnlich ist an dem Projekt vor allem, dass sich ein Unternehmen aus dem kreativen Bereich im Sinne von Learning-by-doing fortbewegt. So würde ja sonst niemand arbeiten, bei uns war das also immer ein "vor, zurück, vor, zurück". Man muss schon einen an der Waffel haben, um so etwas zu machen, aber so bin ich halt.

DER STANDARD: Und was kann Ihre Bleibe besser als andere Hotels?

Moormann: Wirklich happy würde mich machen, wenn die Leute in "Berge" ein bisschen vom Gas runterkämen. (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/04/09/2009)