Bild nicht mehr verfügbar.

In den riesigen Wäldern tummeln sich rund 1.000 Grizzlys.

Grafik: DER STANDARD

Die Geschichte ist für Kinder und Kindeskinder am Kaminfeuer gut: An einem feucht-kühlen Spätsommerabend. Ankunft in der Sundance Lodge, 16 Kilometer östlich von Banff, Rocky Mountains. Heidi Snyder, die Verwalterin der Lodge, begrüßt uns mit höflicher Gelassenheit. Ob wir der Mutter mit den Babys begegnet seien, will sie wissen.

Wie bitte? Zwischen uns und Banff ist 16 Kilometer Nadelwald, sonst nichts. Wir sind drei Stunden bis hierher gegangen - nein, gerannt -, um es noch vor Einbruch der völligen Dunkelheit zu schaffen. Es ist stockfinster, und wenn wir dem Horseguide mit sechs Pferden nicht begegnet wären, hätten wir schon vor einer Stunde kehrtgemacht in der Gewissheit, uns verlaufen zu haben. Was in drei Teufels Namen sollte hier also eine Mutter mit Babys suchen?

Heidi präzisiert: Oh nein, keine Menschenmutter, eine Grizzlymama mit Nachwuchs sei heute Morgen zum Beerenpflücken hier gewesen. Ach so, alles klar. Und jetzt bitte: einen großen, sehr großen Schluck Bier. Geht schon wieder. Übrigens: Den für morgen Früh geplanten Morgenspaziergang lassen wir eher aus, okay?

Obwohl, so hatten wir uns das ja vorgestellt: Neben der Lodge sprudelt der Gebirgsbach, im Inneren der geräumigen Holzhütte knistert das Kaminfeuer, Heidi kocht Rindsbraten und Schokotorte, für maximal 20 Personen. Normal kommt man mit dem Pferd hierher, geführt von Cowboys, wie sie Hollywood nicht perfekter ausstatten könnte: Schwergewichtig, o-beinig sind sie mit Cowboyhut, Westernhemd, Leder-Überhose und Boots stilgerecht gekleidet, dazu passen die grimmige Miene und - ganz wichtig - die Zigarette im Mundwinkel.

Rund 1000 Grizzlys tummeln sich in den riesigen Wäldern. Sie verlangen einen Benimmkodex, der Wanderern Vergnügen bereiten kann: Ein Glöckchen am Rucksack und ein fröhlich Lied auf den Lippen, so gewarnt, vertschüssen sich die Bären hoffentlich rechtzeitig.

Banff ist für viele der Eingang zu den Rocky Mountains. Der Icefield Parkway gilt als eine der schönsten Straßen der Welt. Er führt von Banff 230 Kilometer Richtung Norden nach Jasper und verlangt zahlreiche Zwischenstopps, um Ein- und Ausblicke auf die schroffen 3000er zu genießen. Gletscherzungen reichen da fast bis zur Straße, blitzblaue Seen und Wasserfälle reihen sich aneinander.

Das ist so schon beeindruckend genug, noch mehr gewinnt das Schauerlebnis, wenn man zuvor die andere Seite des kanadischen Bundesstaates Alberta kennengelernt hat. Die ist nämlich ziemlich flach, aber nicht minder sehenswert.

Alberta ist mit 661.848 Quadratkilometer knapp siebenmal so groß wie Österreich. Auf einen Quadratkilometer kommen fünf Einwohner, und nicht die Bären sind die typischsten Tiere des Landes, sondern die Rinder. Im Gegensatz zum waldreichen British Columbia und dem Steppenland Sasketchewan bietet Alberta vor allem Abwechslung. Sowie man die Rockys verlassen hat, wechselt nämlich das Bild recht schnell: Prärie, Rinderherden und Ölpumpen prägen die Landschaft. Der Boom kam mit dem Erdöl, über das Kanada reichlich verfügt. Die endlosen Highways säumen Ölförderanlagen und Rinderherden, so weit das Auge reicht.

Der steigende Ölpreis machte die energieaufwändige und von Umweltschützern verteufelte Verwertung des Ölsandes rentabel und Alberta zum reichsten Bundesstaat Kanadas. Nur langsam wird klar, dass der Reichtum auf Landnahme basiert und die gestohlenen Gebiete nie zurückgegeben wurden. Insofern ist es fast ein Wunder, dass in Alberta heute immer noch 43 Indianerstämme wohnen. Inzwischen sprechen die Nordamerikaner von "First Nations", aus Respekt und Scham vor dem, was man den "Erstgeborenen" angetan hat. Die Verbrechen der Weißen an den Indianern in Alberta dokumentiert der Blackfoot Crossing Historial Park mitten in den Badlands, hundert Kilometer östlich von Calgary.

Die Badlands: Sie erstrecken sich vom Osten Red Deers in Zentralalberta bis hin zur Grenze zum US-Bundesstaat Montana im Süden. Gesteinsformationen, wie sie Wind und Wetter aus härterem und weicherem Material gebaut haben. Eine unwirklich scheinende Geisterwelt mit Steinsäulen, deren Gesichter einen manchmal böse, dann wieder hämisch grinsend anstarren. Man kann sich gut vorstellen, dass sich in dieser Welt Dinosaurier wohlgefühlt haben. Das Royal-Tyrrell-Museum hat Überbleibsel davon gesammelt und eine bemerkenswerte Schau aus haushohen T-Rex-Skeletten zusammengestellt.

In den Rockys knabbert, am Eingang zur noblen Jasper Park Lodge, einem zauberhaft gelegenen Luxushotel mit Bungalows, Außenpool und Golfplatz am türkis-lila schimmernden Lac Beauvert, ein Wapiti versonnen am Nussbaum. Manche halten die mannshohen Geweihträger für gefährlicher als Grizzlys. Uns verschont der stattliche Hirsch, als wir ihn, von seinen Launen nicht wissend, bei geöffneter Wagenscheibe fast Auge in Auge fotografieren. Vielleicht eine weitere gute Kinder- und Kindeskindergeschichte. (Doris Priesching/DER STANDARD/Rondo/12.6.2009)