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Die Konsumenten greifen immer öfter nach den Produkten am untersten Ende der Preisskala der Luxushersteller.

Foto: Reuters/Tamara Abdul Hadi

Der Reiz, in Luxusboutiquen einzukaufen, besteht nicht zuletzt in den Tragetaschen der Geschäfte. Mit dicken Kordeln und noch dickeren Logo-Aufdrucken versehen, sind sie so etwas wie Ausweise, zur verschworenen Gemeinschaft der Luxuskonsumenten zu gehören. Eine edle Tragetasche bestätigt seinem Träger, über Geschmack und die nötigen Finanzen zu verfügen - und ist gleichzeitig die beste Werbung für die Marke.

Um so schwärzer muss für die Luxusbranche in diesem Winter die Erfahrung gewesen sein, als die ersten Konsumenten um neutrale Taschen baten. Statt mit protzigen Gucci- oder Chanel-Sackerln wollten sie sich mit unauffälligen Taschen unter die Passanten mischen. Der Kauf von Luxusprodukten hatte in Zeiten der Wirtschaftskrise einen unangenehmen Beigeschmack bekommen. In Europa genauso wie in den USA, wo der "unauffällige Konsum" ("inconspicuous consumption") bald zu einem regelrechten Trend ausgerufen wurde.

Statt neuer It-bags dominierten in den vergangenen Monaten weiße Sackerln die exklusiven Einkaufsstraßen. Sie waren die sichtbaren Symbole der gravierenden Umwälzungen, die die gesamte Branche erfasst hat. "Der Luxusmarkt bemerkt langsam die Folgen der weltweiten ökonomischen Schwierigkeiten", warnte noch die alljährlich im Oktober erscheinende Luxusstudie der internationalen Beratungsfirma Bain & Company. Ein halbes Jahr später, als man Ende April außerplanmäßig mit einer neuen Studie an die Öffentlichkeit trat, waren die zögerlichen Warnungen harten Gewissheiten gewichen: "Der Luxusbereich verzeichnet Umsatzrückgänge zwischen 15 und 20 Prozent." Allein die Schweizer Uhrenhersteller verzeichneten 26 Prozent weniger Exporte als im Vergleichszeitraum im Vorjahr.

Auf 153 Milliarden Euro schrumpfen

Der Luxusmarkt, prophezeit Bain & Company, werde insgesamt von 170 Milliarden Euro im Jahr 2008 auf 153 Milliarden Euro schrumpfen. Damit einher könnte ein Strukturwandel der gesamten Branche gehen. Die Luxusblase könnte platzen.

Sie hat in den vergangenen Jahrzehnten Dimensionen angenommen, von denen die Betreiber der alten, ehrwürdigen Handwerksbetriebe, die edles Geschmeide schmiedeten, teure Kleider nähten oder Reitsättel nach Maß herstellten, nicht zu träumen wagten. Aus elitären Herstellern des Guten, Wahren und Schönen, aus Louis Vuitton oder Tiffany, aus Gucci oder Hermès, sind riesige, an der Börse notierte Konzerne geworden, die ihre Aktionäre nur dann zufriedenstellen, wenn die Umsatzzuwächse zweistellig sind. Megamarkt Luxus. Wie Anleger von der Lust auf Edles profitieren können, heißt ein Band (im FinanzBuch Verlag), der erst im vergangenen Jahr erschienen ist. "Luxus kommt nie aus der Mode", versichert darin der Autor den auf große Luxushersteller setzenden Aktionären.

Damit könnte er recht haben. Der Hang, sich schöne Dinge zu leisten, ist nicht unmittelbar an die Performance der Finanzmärkte gebunden. Diese hatten allerdings einen maßgeblichen Einfluss darauf, dass das, was heute unter Luxus subsumiert wird, etwas vollkommen anderes ist als noch vor wenigen Jahrzehnten. Luxus ist demokratisiert worden, und erst das erlaubte den Unternehmen, zu globalen Konzernen aufzusteigen. Die Probleme, mit denen sich die Designer von Armani bis Zegna, die Uhrenhersteller und Parfumdistributoren, die Schmuckschmiede und Taschenproduzenten derzeit konfrontiert sehen, haben genau damit zu tun.

Luxus ist heute für jeden zu haben, überall und in jeder Preiskategorie. Seit den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ist die Mittelschicht das hauptsächliche Zielpublikum der Luxusbranche. Sie kauft Accessoires wie Taschen und Schuhe, mit denen die Modebranche den größten Teil ihres Umsatzes macht, sie verschenkt die vielen Parfums, die von einigen wenigen Herstellern zu Spottpreisen produziert werden, und bestaunt die mechanischen Uhren, die an den Armgelenken der Manager glitzern. Um das zu erreichen, hoben die Produzenten ihre Marken erst in den Himmel, um sie dann für jeden erreichbar zu machen.

Sex und Celebritys

Der Aufstieg von Gucci in den Neunzigern ist dabei noch immer das Modell, das jeden CEO ein Funkeln in die Augen zaubert. Mithilfe teurer und provokativer Werbekampagnen, unglaublicher Marketingausgaben und auf Sex und Celebritys setzender Modeschauen kreierten Tom Ford und Domenico de Sole einen regelrechten Nimbus um eine dahindümpelnde italienische Traditionsmarke. Gucci stand plötzlich (wieder) für Glamour, und davon strahlte auch ein wenig auf jene Kunden ab, die sich einfach nur einen Gürtel des Konzerns umschnallten.

Von der Mittelklasse aber lebt Gucci (und Louis Vuitton und Prada und viele andere Luxuskonzerne mehr) bis zum heutigen Tag. "Um Luxus für alle möglich zu machen, haben die Luxuskonzerne das abgestreift, was sie besonders machte", schreibt die in Paris lebende Journalistin Dana Thomas: "Sie haben ihre Integrität geopfert, ihre Produkte schlechter gemacht, ihre Geschichte gefälscht und die Konsumenten getäuscht." Man muss diese negative Einschätzung, die Thomas in ihrem Buch Deluxe. How Luxury lost it's Lustre (erschienen bei Penguin Books) ausführt, nicht im Detail teilen, um ihrem allgemeinen Befund zuzustimmen: Luxuskonzerne unterscheiden sich heute nicht mehr maßgeblich von Waschmittelproduzenten. Kreativität und Qualität sind nur zwei Kategorien unter vielen.

Das steht im krassen Gegensatz zu dem Anspruch, den sie in der Öffentlichkeit vertreten und der in Form der saisonalen Modeschauen und Einladungen an Journalisten zu Atelierführungen inszeniert wird. Die PR- und Marketingausgaben übersteigen die Herstellungskosten bei vielen Produkten um ein Vielfaches, ob bei Handtaschen oder Parfums. Dieses über die Jahre immer eklatanter werdende Ungleichgewicht haben auch die Konsumenten bemerkt, die in der derzeitigen Wirtschaftskrise zunehmend auf die Manolo Blahniks um 800 Euro oder den mittelteuren Tiffany-Ring verzichten.

Hinwendung zu Qualität

Konzerne, die in der Vergangenheit besonders schnell gewachsen sind, die den modischen Aspekt über den qualitativen gestellt und die umfassende Pflege ihrer Marke vernachlässigt haben, bekommen den Einbruch jetzt besonders stark zu spüren. "Manche in der Luxusindustrie dachten, je teurer ein Produkt sei, umso attraktiver wäre es für jene, die Geld haben, unabhängig von Qualität, Funktionalität und Service-Erfahrung", kommt die jüngste Studie des New Yorker Luxury Institute zum Schluss. Sie konstatiert eine verstärkte Hinwendung der Kunden zu Qualität - ein Ergebnis, in dem alle einschlägigen Untersuchungen übereinstimmen. Bestraft wird, wer zu weit vom Weg abgekommen ist, sprich, wer seinen Kunden einreden wollte, dass ein Logo bereits ein Produkt macht.

Zum Beispiel der Füllfederhersteller Montblanc: Als das deutsche Unternehmen sich plötzlich einbildete, in Zukunft eine "Lifestyle-Brand" sein zu wollen und Uhren und Schmuck auf den Markt brachte, geriet das Markenbild durcheinander. Ähnlich erging es dem New Yorker Nobeljuwelier Tiffany, der sein Geschäft nachhaltig beschädigte, als er mit Schlüsselanhängern und Bettelarmbändern auf neuen Kundenfang ging, oder Bulgari, ein kleiner römischer Schmuckhersteller mit gerade einmal fünf Geschäften im Jahre 1985. Heute besitzt er 259 und verkauft Handtaschen genauso wie Hotelzimmer. Im ersten Quartal fiel sein Umsatz um 23 Prozent.

Führende Luxushersteller müssten "akzeptieren, dass sie auf schnelle Gewinne verzichten und unter Umständen die Größe ihrer Marke begrenzen müssen", schreibt das internationale Markenberatungsunternehmen Interbrand über die Luxushersteller des Jahres 2008.

"aspirational" und "accessible"

Eine Marke wie Hermès machte in der Vergangenheit genau das. Anders als die Konkurrenz verzeichnete sie ein Plus (3,2 Prozent) im schwierigen ersten Quartal des heurigen Jahres. Diese Rezessionsresistenz ist auch bei anderen Traditionsbetrieben am obersten Ende der Preisskala zu beobachten. Ob der Wiener Maßschuhhersteller oder die französischen Couture-Häuser: Die Anbieter von sehr hochpreisigen und hochqualitativen Luxusprodukten sind von Umsatzeinbrüchen weit weniger oder gar nicht betroffen als jene Segmente, die in der Marketingsprache "aspirational" und "accessible" genannt werden. Mit ersterem Begriff ist jene Käuferschicht gemeint, die sich eine Prada- oder Gucci-Tasche um 1000 Euro kauft, mit letzterem jene, die sich eine von Ralph Lauren um, sagen wir, 300 leistet.

Beide Gruppen zusammen waren im Jahr 2008 für Dreiviertel der Umsätze der Luxusbranche verantwortlich. Und sie sind es, die den Luxusherstellern die Schweißperlen auf die Stirn treiben.

Die Konsumenten greifen immer öfter nach den Produkten am untersten Ende der Preisskala der Luxushersteller. Man möchte offenbar nicht auf jene Labels verzichten, die in der Vergangenheit den eigenen Status unterstrichen haben, will dafür aber weniger Geld ausgeben. Luxuskosmetik und Parfums, prophezeite Bain & Company, würden im Jahre 2009 die stabilsten Geschäftsfelder sein. Die beiden Bereiche gelten gemeinhin als Einstiegshilfen in die Welt des Luxus.

Damit setzt sich eine gefährliche Abwärtsspirale in Gang. Amerikanische Kaufhäuser (sie sind von der Rezession besonders stark betroffen) warben bereits im April mit starken Nachlässen um Käufer für die Frühjahrsmode. Im Vorweihnachtsgeschäft waren in New York Produkte um minus 90 Prozent zu haben. Während Käufer früher Preisnachlässe von 40 bis 50 Prozent als Schnäppchen angesehen hatten, erwarten sie sich heute 70. Diese Entwicklung haben sich die Hersteller selbst zuzuschreiben: Um ähnlich viele Kunden wie früher anzulocken, müssen sie mit den Preisen runtergehen.

Synonym für Qualität und Kreativität

Aus Luxuslabels werden so Fälle für die Wühlkiste. Das Renommee wird verspielt, der Glanz blättert ab. Wer einmal für ein Produkt wenig ausgegeben hat, wird auch ein zweites Mal sparen wollen. Gegen diesen Teufelskreis hilft nur die strikte Rückbesinnung auf jene Werte, die Luxus früher einmal begehrenswert gemacht haben. Sprich: Nur wenn er nicht für jedermann erhältlich ist, wenn er ein Synonym für Qualität und Kreativität ist und mit einem Maximum an Service angeboten wird, sind Kunden bereit, tiefer in die Tasche zu greifen.

Eigentlich verstehen sich diese Prinzipien von selbst. Dass sie derzeit von führenden Beraterfirmen wie Interbrand oder dem Luxury Institute in New York wie Heilsbotschaften verkauft werden, verdeutlicht die krankhafte Entwicklung, die die Luxusbranche in den vergangenen beiden Jahrzehnten genommen hat.

Die Konzerne, deren Barone zu den weltweit reichsten Menschen aufgestiegen sind, haben die Spielregeln der Branche verändert. Jetzt schlägt der Markt zurück. Die Veränderungen, denen das Luxusgeschäft unterworfen sein wird, sind noch nicht abzuschätzen. Sicher sind sich alle Beteiligten nur in einem: Kaum etwas wird so bleiben, wie es ist. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/22/05/2009)