Oberstdorf im Allgäu wurde bereits vor 17 Jahren "entschleunigt" - der Ortskern ist heute weitgehend autofrei. Das sind gute Voraussetzungen zum Herunter- oder gar Abschalten bei einer Stresstherapie.

Foto: Tourismus Oberstdorf

Frische Luft und freier Blick auf die Allgäuer Alpen: Durchatmen ist in einem Luftkurort wie Oberstdorf automatisch einfach, "entschleunigt" wurde das weitgehend autofreie Zentrum schon vor 17 Jahren.

Stressmanagement im Schüle's heißt aber nicht nur, die Aussicht zu genießen: Zuallererst gibt es einen Termin beim Arzt: Dr. Franz Laqua begrüßt pünktlich mit breitem Grinsen. Er zeigt vor, wie jemand aussieht, dem es wirklich gutgeht: "Wir geben weiter, was wir selber leben." Der große Mann im Anzug wirkt glaubwürdig. So, als hätte der 48-Jährige in seiner Zeit als Internist selbst stressige Zeiten erlebt. Er komme aus der Generation "100-Stunden-Woche", erzählt er, "aber wir sind die erste Generation, die mit Intensität und dennoch mit Lebensqualität älter wird."

Der Mann ist tatsächlich vital - das perfekte Testimonial für einen der kompetentesten Medical-Wellness-Betriebe Deutschlands. In seinen Beratungsgesprächen versuche er alle - den "gestressten Manager", aber auch die "alleinerziehende Mutter" - dort abzuholen, wo sie gerade stehen. Schon der "Auftritt" seiner Klienten verrate ihm einiges, sagt Laqua. "Wenn mir jemand gegenübersitzt, befindet er sich ja offensichtlich nicht mehr in maximaler Harmonie." Sein Leben grundlegend zu verändern rät er niemandem. Außer die harten Fakten, also das Belastungs-EKG, verlangen es.

Das scheint das Geheimnis des Hauses zu sein: Jeder, wie er es braucht. Ein Arzt, der unter der Woche gegen den Stress philosophiert und am Wochenende als Heli-Notarzt in die Berge fliegt, wirkt geerdet. Nicht abgehoben in beruhigender Esoterik, obwohl er auch das kann, wie er betont.

Umschalten heißt Abschalten

Überhaupt sei alles eine "Frage der Perspektive" und der "inneren Freiräume". Den "Switch" zwischen Stress, Erreichbarkeit und den Anforderungen des Lebens zu schaffen, so nennt das Laqua. Übersetzt heißt das dann: Handy abdrehen und manchmal einfach nicht erreichbar sein. Ansonsten seien somatische Folgen von Stress wie Schlafstörungen, Herzrasen, Verspanntheit und ein nervöser Magen nur logisch. Aber gehören diese Symptome nicht zum Leben dazu? "Ich habe keines davon", so seine ernsthafte Antwort. Auch Zynismus und Verbitterung seien Stresskompensation: "Man verliert sich dabei aber selbst als Mensch."

"Gut ausschauen" hilft auf jeden Fall beim Selbstfindungsprozess: Mit einer Feuchtigkeitsmaske am Designer-Kosmetikstuhl soll das gehen. Und in eineinhalb Stunden gibt's noch eine kleine Nackenmassage dazu, eine schnelle Fußmassage und die Thalgo-Gesichtsbehandlung. Dann erst wird der Wellnessbereich "verschrieben" mit Stubensauna, Dampfbad, Solegrotte, Aromagrotte, Tepidarium, riesengroßem Hallenbad, einem gut ausgestatteten Fitnessstudio und mit Blick auf die Allgäuer Alpen aus allen Südfenstern.

Angeboten werden auch tiefschürfendere Verschönerungskuren: von der Faltenbehandlung bis zur Cellulite-Therapie. Für Dr. Laqua ist ästhetische Medizin kein Widerspruch zur Authentizität der eigenen Person: Gutes Aussehen sei ja durchaus positiv für die Entwicklung. Und wer nicht so gerne Geld für optische Nachbesserungen ausgibt, sollte ohne schlechtes Gewissen in seine "persönlichen Freiräume" investieren, empfiehlt der Stress-Doktor. Ob man dazu im Restaurant Platz nimmt oder eben doch endlich einmal mitten in diesen herrlichen Bergen ins Freie geht, ist natürlich wieder alles eine Frage der Perspektive. (Verena Langegger/DER STANDARD/Printausgabe/28./29.3.2009)