Waterproof, Maxim Velèovskýs

Foto: 1stdibs.com

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Laut Navi gibt's die Vorgartenstraße 98 nicht. Laut Taxifahrer schon gar nicht. Das mag daran liegen, dass das Lager von WienTourismus im zweiten Wiener Bezirk ziemlich fies hinter einem Gemeindebau versteckt liegt und die Hausnummer der Halle nur aufgepinselt ist. Dabei haust in dieser Location einiges an Prominenz, Sisi, Johann Strauß inklusive Fidel, Kaiser Franz Joseph: allesamt in Form von Büsten, Statuen und anderem altem Wien-Klischee-Schnickschnack. Gut verpackt lagern die Stücke in Holzkisten, die ein stattliches Würfelgebirge bilden.

Ein paar Meter weiter steht Norbert Kettner, Chef von WienTourismus. Er hat eine Wollmütze bis über die Ohren gestülpt, und man weiß nicht, ob er sich die Hände vor Kälte reibt oder vor Freude über einen Haufen ganz anderer Kisten, die von hier aus ihre Reise auf die Tourismusmesse ITB in Berlin antreten werden. Sein Grinser spricht für Zweiteres. Der Begriff Kisten als Bezeichnung für die Installation des Prager Designers Maxim Velèovský sollte allerdings spätestens jetzt korrigiert werden. Seine Installation "City Shades" besteht aus mehreren Alu-Quadern, die in Bauklotz-Lässigkeit aufeinandergetürmt werden. Vier Meter hoch. Die drei Hauptobjekte messen 180 x 80 x 100 Zentimeter, ihre Vorderseite besteht aus beschichtetem Plexiglas. Im Inneren der Quader stehen, scheinbar völlig wahllos angeordnet, Fundstücke aus den Tiefen des Kellers der Glasmanufaktur Lobmeyr. Durch eine Art Hasengitter, das die Seitenteile des Quaders bilden, blickt man auf Vasen, Teile von Lustern, Glasschüsseln etc. Von einer Lichtquelle angestrahlt, wirft die Glasware ihre Schatten auf besagte Plexiglasvorderseite und wird dort zur Silhouette einer Stadt: Wien, Moskau und New York gehören jeweils einer dieser Quader, und es ist verblüffend, was der 32-jährige Velèovský mit dieser optischen Spielerei, einer Art Mix aus Laterna magica und Schattentheater, aufführt.

Centralpark aus Glasschüssel

Aus circa 30 gläsernen Teilen pro Element besteht das Baumaterial für Vel-èovskýs Stadtbilder. Deutlich sind zu erkennen: der Stephansdom, der Millennium-Tower, und dort, ganz links, die Türme der Karlskirche, deren leuchtende Spitzen anscheinend aus zwei angestrahlten Schnapsgläsern bestehen. Einen Quader tiefer, auf dem Boden der Skyline New Yorks, projiziert das Licht die blätterförmigen Ornamente einer Schüssel auf die Vorderfront. Der Central Park? "Ja", sagt Kettner und grinst wieder. Inzwischen wärmt ein Häferl Kaffee seine Hände. Design-Affine dürfte die Beschreibung dieser Stadtansichten an die Vienna Design Week im vergangenen Oktober erinnern, zu der die "Neigungsgruppe Design" den tschechischen Gestalter eingeladen hatte. Während der städtischen Designverdichtung entstanden Velèovskýs erste "City Shades", für die er von der Lifestyle-Bibel Wallpaper im Februar dieses Jahres mit einem Design Award bedacht wurde.

Auf die Idee zu seinen Stadtbildern kam der Gestalter beim Durchstöbern des Lobmeyr'schen Kellers. "Dort fand ich Kisten voller Glasstücke, die Lobmeyr für Kunden aus der ganzen Welt entworfen hatte, für die Metropolitan Opera in New York, für den Kreml, für arabische Paläste", beschreibt Velèovský seine Begegnung mit dieser Welt, in der er sich tagelang einsperrte, so manches Stück wieder ans Licht brachte und in einem sehr künstlerischen Sinn "missbrauchte". Vel- èovský entstaubte offenbar abgeschriebene Alltagsgegenstände und setzte sie in einen völlig anderen Sinn- und Wahrnehmungszusammenhang.

Verkehrter Gummistiefel

Transformation scheint überhaupt der rote Faden im gestalterischen Objektgeflecht des Designers Maxim Velèovský zu sein. Ein weiteres Beispiel dafür ist seine Arbeit "Waterproof". Dabei handelt es sich um eine Porzellanvase in Form eines Gummistiefels. Der Designer stülpte dem Satz "form follows function" den Gedanken "function follows form" über. Hält der gemeine Gummistiefel das Wasser draußen, umschließt er in diesem Fall das Nass und wird zu einer Art Negativform des ursprünglichen Sinns.

Salopp formuliert könnte man auch Norbert Kettner einen Überstülper nennen, einen, der das Außen wie das Innen studiert und deren Schnittstellen beleuchtet. Anstatt eine Staubschicht zu kultivieren, die so mancher Blick auf das traditionelle Wien erkennen lässt, will er beim vorliegenden Projekt mithilfe von Design den Blick auf Tradition befreien, den Tourismus aufpeppen, Staub wegblasen und so die Verbindung von Tradition und Moderne kitten. Die Entscheidung, auch die Städte New York und Moskau im Rahmen dieses Exponats auf die ITB (11. bis 15. März) zu schicken, begründet Kettner so: "Wir wollen die Liga zeigen, in der wir uns bewegen." Auch die Entscheidung, einen tschechischen Designer dabei mitspielen zu lassen, kann als Zeichen gewertet werden, dass man mit diesem Projekt zeigen will, dass Wien weder beim Riesenrad noch in Schönbrunn aufhört, sondern bis in Prager Ateliers und in die Tiefen eines Kellers reicht, wo nicht nur der Staub daheim ist, sondern ungeahntes Baumaterial für Neues lagert. (Michael Hausenblas/DER STANDARD/Rondo/6.3.2009)