"Viele sind berufen, und nur wenige sind auserwählt."

Foto: Der Standard

+++Pro
Von Ljubisa Tosiæ

An sich ist ja Fernsehen unsere Bibel. Allerdings ist nicht allüberall ein entsprechendes Gerät zur Zapphand. Besonders bei kleinen Dienstreisen etwa droht die Gefahr, in einer schlichten Kammer mit Bettchen nächtigen zu müssen, die nichts als gnadenlose Stille und den Blick zur Decke anzubieten hat. Es versteht sich, dass man sich - dermaßen auf sein fragiles Ich und den Sound der eigenen Körperfunktionen zurückgeworfen - einschlafgestört fühlt und auf die Suche nach ein klein wenig Ablenkung begibt.

Doch siehe da! In welch asketischer Bruchbude man landet - ein Nachtkastl ist immer zugegen und in diesem dann auch in der Regel das üppige Buch. Solche Hotelgrenzsituationen machen zwar nicht gleich gläubig, auch Agnostiker sind indes plötzlich dankbar, etwas zum Blättern zu haben. Ist ja auch egal, wo man ansetzt. Der Schmöker ist die größte Aphorismensammlung der Menschheit. Und mit Komplimenten wie "Viele sind berufen, und nur wenige sind auserwählt" lässt sich dann auch beruhigt einnicken.

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Contra---
Von Ronald Pohl

Denn wahrlich: Das Mädchen schien vom Herren mit dem Lächeln der Heiligen Jungfrau begabt! Sie hatte Haar wie Engelshaar, Lippen rot wie vom Blut der Lämmer, und ihr Hals roch nach Honig.

Also begab es sich, dass die Hochzeit zu Kanaan - die Bar im Hotelfoyer hatte tatsächlich bis zwei Uhr nachts geöffnet - die erfreulichste Wendung nahm. Der Herr sei gepriesen! Er nennt ja die Wechsler und Kuppler, die Dirnen und Devisenspechte sein festes Volk, darauf der Durchreisende seine Hütte bauet! Gepriesen sei also der Herr: Da er auch jener Elenden gedenket, welche einsam in Zimmern hausen, worin die gute Putzfrau die Heilige Schrift auf den Nachtkasten legt.

Denn schließlich: Jesus vergab Maria Magdalena! Er freuet sich der Schriftkundigen, die blondierten Damen aus den Evangelien vorzulesen pflegen. "Höre, oh Ivanka: ,Also sprach der Herr ...'." Doch das Mädchen trutzt. Es wünscht, in der Finsternis des Unglaubens zu verharren. Knallt mit der Tür, sodass das Schöpfungszimmer in seinen Grundfesten erzittert. (Der Standard/rondo/27/02/2009)