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Auch als Bergführer war Dibona herausragend.

Foto: Archiv

Wer waren die größten österreichischen Bergsteiger? Reinhold Messner, beim Interviewtermin in seinem Museum bei Bozen, holt aus: "Der Beste war sicher Hermann Buhl, der Nanga-Parbat-Erstbesteiger im Alleingang, einer der größten Kletterer nach dem Zweiten Weltkrieg." Auch Matthias Rebitsch, den kühnen Tiroler, der das Freiklettern in die Bereiche der Akrobatik vorantrieb, hat Messner auf seiner Liste. Bei Jüngeren stockt er, die sind ihm selbst zu nahe, Peter Habeler etwa, mit dem er zum ersten Mal den Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen hat.

Da geht er lieber zurück in die Geschichte, in der er sich auskennt wie wenige andere. Paul Preuß nennt er, den brillanten Wahl-Altausseer, den Begründer des bedingungslosen Freikletterns ohne Haken- und Seilsicherung, der 1913, erst 26-jährig tödlich abstürzte. "Und nicht zu vergessen" - Messner sieht mich an und genießt meinen erstaunten Blick, als er sich den Namen auf der Zunge zergehen lässt - "Angelo Dibona". "Dibona war doch Italiener", erwidere ich, "aus Cortina d'Ampezzo." "Aber Cortina war bis 1918 österreichisch", beharrt Reinhold Messner "und Dibona war ein überzeugter Altösterreicher."

Heuer vor 130 Jahren, am 7. April 1879 wurde er geboren, absolvierte von 1900 bis 1903 seinen Militärdienst beim Kaiserjägerregiment in Innsbruck und qualifizierte sich 1907, nach einem dreiwöchigen Kurs in Villach, zum Bergführer. Im Ersten Weltkrieg diente Dibona bei den Kaiserjägern am Isonzo, am Mangart, am Ortler und in der Presanella. Seine Spezialaufgabe war, Telefonleitungen durch scheinbar unbegehbare Wände zu legen. Später wurde er als Militärausbildner ins Grödental versetzt.

Damals hatte er seine wichtigsten Erstbegehungen schon hinter sich: die Nordwand des Einserkogels (Cima Una) in den Sextener Dolomiten (1908), die Westwand des Croz dell'Altissimo in der Brenta (1910) oder die Laliderer Nordwand im Karwendel. Dazu Neutouren in den französischen Alpes Dauphiné (Nordostkante des Dôme de Neige des Écrins) und an den Granitwänden Großbritanniens (Pillar Rock und Black Crag). Nur die nach ihm benannte Dibonakante auf die Große Zinne in den Sextener Dolomiten (1909) hatte, wie inzwischen als gesichert gilt, ohne dass er es wusste, bereits ein Jahr davor der Osttiroler Rudl Eller, ebenfalls ein Kaiserjäger, als Erster durchstiegen.

Als bedenkenloser Verfechter des Sicherheitskletterns - obwohl er in seiner ganzen Laufbahn bei 70 Erstbesteigungen nur 15 Sicherungshaken verwendete - war Dibona ein vehementer Gegner von Paul Preuß, dessen Fähigkeiten er allerdings ausdrücklich würdigte.

Als die herausragenden Eigenschaften Dibonas nannte ein Biograf sein außergewöhnliches Gespür für Berge, gepaart mit erstaunlicher Beweglichkeit und hervorragender Athletik. Er habe nie ein Wort zu viel gesprochen und sich nie von seiner Einschätzung einer alpinen Situation abbringen lassen.

Aufgrund solcher führerischen und menschlichen Qualitäten, aber auch durch seiner Weltläufigkeit (er sprach Italienisch, Deutsch und Englisch) war Angelo Dibona der Star der alpintouristischen Szene von Cortina mit einer erlesenen Bergsteigerklientel. Der prominenteste von ihm Geführte war der belgische König Albert.

Eine besondere Beziehung aber verband ihn mit zwei jungen österreichischen Industriellen, den jüdischen Brüdern Max und Guido Mayer, mit denen ihm und seinem Bergführerkollegen Luigi Rizzi 1910 die Erstbesteigung der Ödsteinkante in den Ennstaler Alpen gelang. Guido Mayer wurde in der Zwischenkriegszeit, wie Rainer Amstädter in seinem Standardwerk "Der Alpinismus" detailliert darstellt, Opfer eines wütenden Antisemitismus im Österreichischen Alpenverein. Sein und seines Bruders weiteres Schicksal ist auch Amstädter unbekannt.

Nachforschungen im Österreichischen Staatsarchiv ergaben, dass von vier Personen namens Max oder Maximilian Mayer, die 1938 in die Mühlen der NS-Arisierung gerieten, nur einer altersmäßig infrage kommt. Nach dem Krieg stellte dessen Witwe, Adele Mayer, in Lima, Peru, Antrag auf Wiedergutmachung. Ob ihr verstorbener Mann der Begleiter Dibonas bei der Erstbegehung der Ödsteinkante und der Laliderer Nordwand war, ist ungeklärt. Jeder Hinweis ist willkommen.

Zurück zu Dibona. Er konnte angesichts der wirtschaftlichen Situation nicht an seine Führererfolge vor dem Ersten Weltkrieg anknüpfen. Die internationale Klientel fehlte in den Zwanzigerjahren, was blieb, war ein bescheidenes Auskommen als Skilehrer.

Wie er die Jahre des Faschismus und den Zweiten Weltkrieg überdauerte, bleibt im Dunkeln. 1956, im Jahr, als sein Heimatort Cortina die Olympischen Winterspiele feierte, starb er 76-jährig: international unbemerkt, aber von den "Scaiattoli", den Cortineser Spitzenbergsteigern, würdevoll zu Grabe getragen.

Zwanzig Jahre später wurde dem Kletterkünstler Angelo Dibona in Cortina ein Denkmal errichtet, unter großer Beteiligung italienischer, französischer und Schweizer Bergsteiger. Als befremdend wurde dabei ausdrücklich das Fehlen einer österreichischen Delegation vermerkt. (Horst Christoph/DER STANDARD/Rondo/27.2.2009)