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Al Capone (Bildmitte) im Chicago der 30er-Jahre.

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Grafik: DER STANDARD

Es gibt für Autoren Rufzeichen und Fragezeichen. Ferner Kommas, Gedankenstriche, die strichgepunktete Halbpause des Erzählens und, falls es das Schriftbild erlaubt, auch noch das windschiefe Torkeln kursiv gesetzter Texte. Aber leider fehlen Satzzeichen für heisere Stimmen, und schon gar für jenes verhalten lauernde Mafiosi-Krächzen, das sich so gerne mit leichtem Oberton paart.

Trotzdem wäre es schade, aufs Gekrächze zu verzichten - schon gar angesichts jenes letzten Loches, das an der grauen Steinmauer der Holy Name Cathedral übrig blieb und das Chicagos Bürger auch dann nicht verputzten, als alles vorüber war. Vielleicht, um selbst ein wenig zu fühlen, wie das war: im Chicago der wilden 20er-Jahre.

Das Loch ist zirka so dick, dass man auch brutale Wurstfinger darin versenken kann. Oder zwei, drei Rosen plus eine gute Zigarre. Das Loch stammt von einer Salve, und es ist Anfang und Ende zugleich. Anfang der Alleinherrschaft Al Capones. Und das Ende für Earl "Hymie" Weiss, den irischen "Northsider", den es an einem sonnigen Morgen des Jahres 1926 erwischte, als er von O'Banions altem Blumengeschäft, in dem vor allem die Schwarzbrennerei blühte, die Stufen zum Kirchenportal hinaufstieg.

Um Unauffälligkeit waren Hymies Henker dabei nicht unbedingt bemüht. Sie gingen lieber auf Nummer sicher: Dreihundert 45-Kaliber-Projektile ließen von Hymie kaum mehr über als den in Ganovenkreisen geachteten Namen.

Das irische Blumengeschäft ist einem Parkplatz gewichen, auf dem nun japanische Kleinwagen parken. Aber auch ein schwarz lackierter Bus stoppt soeben mit laufendem Motor vor der neogotischen Holy Name Cathedral, samt Insassen, die sich sonderbarerweise abrupt bis auf die Knie hinunterducken, zumindest so weit, wie das die weichen Wohlstandsbäuche erlauben.

Ganz vorne sieht man jetzt einen Mann mit Knarre fuchteln, und säße man selbst im Inneren des Busses, dann wüsste man auch, was er gerade brüllt. "Verdammt, hinunter alle!", schreit er. Und jetzt hören wir auch die Maschinengewehr-Salve, die dreißig Sekunden lang widerhallt. Rattatatat-Rattatatat. So lange, wie 300 Projektile brauchen, um die Mündung Richtung Hymie zu verlassen. Verletzt wird an diesem Morgen allerdings niemand. Es sei denn, beim hastigen Abtauchen, an der eigenen Gürtelschnalle.

Der Sound des Chicago Typewriters, denn so nannte man die knatternden Maschinengewehre, wird in der Folge noch öfter zu hören sein. Allerdings nur via Kassette. Er ist das akustische Leitmotiv des schwarz lackierten Busses, der Chicago-Besuchern eine ganz besondere City-Tour anbietet: einen Trip in die längst verschwundene Welt der Bandenkriege. "Untouchable Tours" ist denn auch auf das Gefährt gepinselt, und die Merchandising-Goodies passen bestens dazu. Aufklebbare Einschusslöcher werden verhökert, um den Familienkutschen der Middle-Class-Daddys später das gewisse Gangster-Flair zu verleihen. Und mitunter sehen die Guides so müde aus der Nadelstreifwäsche, dass es fast schon wieder hart wirkt. Leicht fällt der Job, achtzig Jahre nach dem Abtreten des syphilisgeplagten Al Capone nach touristisch verwertbaren Spuren zu fahnden, ja nicht unbedingt.

Fast alle konkreten Schauplätze sind mittlerweile aus Chicagos Stadtbild getilgt: die Garage, in der das berühmte St. Valentine's Day Massacre stattfand - heute ein Parkplatz an der bürgerlichen North Clark Street. Das "Lexington Hotel", von dem aus Al Capone unter dem Namen George Phillips ein Imperium mit einer halben Million Angestellten leitete, wurde vor Jahren selbst Opfer der Immobilienmafia. Die Stadt der breiten Schultern hat ihre großen Gangster überlebt. Aber die archetypischen, von Hollywood gepäppelten Bilder der Mobster-Ära sind dabei geblieben: die allgegenwärtige Eisenakrobatik der schwarzen Feuerleitern, die sich über Hinterhöfe hinaufturnen. Das Neonglitzern der Wasserlachen. Und natürlich die Eisenstelzen des "Loop", der berühmten Schnellbahn, unter deren Dröhnen Chicago zu seinem eigenen, harten Rhythmus findet: Chicago ain't no Sissy Town. Das sagten bereits die gekauften Politiker der alten Zeit. Dass nun Schmiergeld-Dilettanten wie der korrupte Gouverneur Blagojevich das alte Klischee aufwärmen, kommt den Anbietern der "Untouchable Tours" zweifellos entgegen. Das, und natürlich das im Zuge der aktuellen Krise vielbeschworene Jahr 1929.

Das weiß auch John Russick, Kurator des Chicago History Museum. Denn zumindest auf der Museums-Website ist Al Capone noch immer der unumstrittene Boss: 180.000 Hits pro Monat lassen jeden anderen Suchbegriff weit hinter sich. Leicht tut sich das offizielle Chicago damit nicht - will vom "Zugpferd Capone" partout nichts wissen. Private Anbieter haben da weniger Skrupel.

Verwaist und von Brachflächen gespickt, taucht Pilsen, das Viertel der Polen, auf. Die Schoenhoffen Brewery an der Canal Street, die Al Capone gekauft hatte, um alkoholfreies Bier zu brauen, in das später Hochprozentiges gegossen wurde, gibt es noch heute. Ebenso wie die niedrigen Häuser der Taylor Street, der Lebensader von Little Italy. Kuschelig ist das fransige Beton-Patchwork von "Ethnic Chicago" hier geworden, das die stärksten Momente der "Untouchable Tour" bietet. Kleine Ziegelbauten ducken sich neben Bahntrassen. Hinter den Stahlgerippen alter Brücken tauchen Autowerkstätten auf. Chinatown reibt vor dem Busfenster auf, später das ziegelrote Northside-Leuchten des irischen Viertels um Lincoln Park. Sogar eine jüdische Mafia gab es einst hier. Spitzname: Kosher Nostra. Show-Restos wie das "Tommy Guns" ergänzen das Mafia-Business: Eine umgebaute Lagerhalle an der South Wabash, in der Schlapphut-Träger und gar nicht so leichte Mädchen im Federboa-Kostüm Steaks, Bier und eine Show mit ein wenig Geknalle und Ketchup servieren. Heißer ist der Tipp, der in die "Green Mill Cocktail Lounge" führt, einst berüchtigt als Stammlokal des Al Capone.

Und siehe da: Al ist noch immer da. Mit fleischigem Gesicht hängt er hinter der Bar. Aber das Glas, durch das er jetzt blickt, ist das eines Bilderrahmens. Neben ihm: "Machine Gun" Jack McGurn, der sein explosives Arbeitsgerät mit Vorliebe im Golf-Set durch die Gegend trug. Aber nicht nur Al Capone und seinen Nadelstreif-Hyänen wird im "Green Mill" die Treue gehalten. Auch die Einrichtung des Schuppens sieht ein wenig nach dem Jazz Age der wilden Zwanziger aus: schweifig geschnitzte Holzpaneele an den Wänden. Art-déco-Leuchten in der tabakbraunen Decke. Geht man von hier einige Meter weiter, so taucht neben Tacos-Buden bald eine letzte Kulisse auf: Der Graceland Cemetery zählt zu den schönsten Friedhöfen der Stadt. Der Boss residiert wie gewohnt lieber im Hintergrund. Sein schlichtes Grab liegt knapp jenseits der Grenze der Stadt. (Robert Haidiner/DER STANDARD/RONDO/16.01.2009)