Beweglicher Heizkörper "Radiator"

Foto: Hersteller

Vogelhäuschen samt Vogelbad "Domoseo"

Foto: Hersteller

Sessel "Tin Toy"

Foto: Hersteller

"Udon Chair"

Foto: Hersteller

Tisch Pinocchio

Foto: Hersteller

"Es geht halt immer ums Kauen", erzählt Marco Dessi von seiner Zeit als Zahntechniker. "Man kann sich dabei schon entfalten, so wie bei jedem Job", setzt er nach, als wolle er nur ja nicht den Eindruck erwecken, Zahntechnik sei etwas Ödes. Seit sieben Jahren entfaltet sich der 32-jährige, aus Meran stammende Designer aber lieber beim Entwerfen von Objekten. Die Initialzündung war eine Stippvisite in der Industriedesignklasse auf der Universität für angewandte Kunst in Wien. "Das zog mich an, dabei hatte ich keine Ahnung von Design, geschweige denn davon, wie man ein Produkt gestaltet. Ich kannte gerade einmal Philippe Starck dem Namen nach", erzählt Dessi von seinen Anfängen. Inzwischen haben es seine eigenen Objekte weit gebracht: auf den "Salone Satellite" nach Mailand, zum Rat für Formgebung nach Berlin, auf die "100 %" nach London sowie in zahlreiche Zeitschriften. Das ID Magazine plant, den Gestalter unter die 40 bemerkenswertesten Talente aus Design, Mode und Grafik zu reihen. Einziger Haken: Aufs Fließband haben sie es noch nicht geschafft, seine Sessel, Schalen, Tische oder sein besonders gehypter Heizkörper-Entwurf "Radiator". Aber darüber macht man sich keine Sorgen, wenn man Dessi zuhört, wie er mit ruhiger und klarer Stimme von seiner Arbeit erzählt. Zuversicht ist aus ihr zu hören. Täglich zwölf bis dreizehn Stunden, meist sieben Tage pro Woche verbringt Dessi mit seinen Entwürfen.

Mehr als eine Schnapsidee

"Ich mach die Augen auf und schon geht's los", erzählt er auf die Frage nach seinem Tagesablauf. Den Arbeitsplatz teilt er sich mit anderen Gestaltern, unter ihnen auch der Industriedesigner Adam Wehsely-Swiczinsky. Der Atelier-Raum ist ein hoher, die Decke wölbt sich wellenförmig und wird von massigen, grauen Eisenträgern gestützt. Oberlicht und mächtige Halogenscheinwerfer erhellen die Szenerie. Könnte auch in London sein. Ist aber im zweiten Wiener Bezirk, in einer ehemaligen Lederfabrik. Von der Decke baumeln Gitarren, Skibindungen, Snowboardschuhe. Ansonsten: Menschen bei der Arbeit. Eine Stimme im Radio. An der Wand lehnt ein Besen. An seinem Stiel ist ein Fahrradschutzblech montiert. Wozu? "Weiß ich gar nicht", sagt Dessi und überlegt. "Aber das ist doch das Spannende an Design, irgendeine Idee steckt immer dahinter", meint er weiter, während sich seine Stirn in Falten legt. "Mein erster Professor an der Angewandten, Borek Sipek, hat einmal gesagt, 'Marco, es gibt Leute, die sind mit einer Schnapsidee reich geworden, aber Design ist mehr'".

Und was ist dieses "Mehr" für den großgewachsenen Südtiroler? Vielleicht noch ein Sessel, so einer wie sein "Udon", bei dem ein Stahlrohr gleich einer Schlange die Form des Stücks biegt und der wie eine Hommage an Thonet daherkommt? "Wenn ich einen Sessel mache, fällt mir bei der Arbeit an ihm schon der nächste ein. Das Spannende ist nicht, ob die Menschheit diesen Sessel braucht, sondern wie ich meine Ideen in Form bringe, wie ich die Tücken beim Bauen meistere, wie er sich während des Prozesses verändert, welches Material sich für ihn am besten eignet und wie sich all diese Faktoren gegenseitig beeinflussen. Am Schluss muss ein Objekt lesbar sein. Meine Möglichkeiten, mich auszudrücken, sind eine Säge, ein Rohrbieger und ein Schmied in Hernals", so Dessi. Die Frage, warum sich die Designwelt so besonders um das Objekt Sessel dreht, beantwortet er so: "Er ist eine Skulptur, in der sich der Mensch sieht." Ist der Sessel demnach ein eitles Produkt, mit dem man noch immer am meisten Aufmerksamkeit erregen kann? Dessi überlegt, dann sagt er, während er in einem Säckchen Holzdübel herumfieselt, "das größte internationale Feedback habe ich für meinen Radiator bekommen. Auf dem kann man nicht sitzen."

Wie ein Schriftsteller

Dessi sagt, er mache um jedes Projekt einen Mordswirbel und es jucke und jucke, bis er Lösung und Erkenntnis gefunden hat. Eine besonders zufällige gewann er bei der Arbeit an "Pinocchio". Dessen gefaltete Tischfläche hätte ursprünglich aus Aluminium sein sollen. "Das war in einem Semester, in dem ich überhaupt kein Geld hatte. Darum hab ich statt Aluminium Karton verwendet und bin am Ende draufgekommen, dass man auf dem Tisch sogar stehen kann, so stabil ist das Material", erzählt Dessi. Aus "Pinocchio" wurde ein modernes, elegantes Möbel, das neugierig macht und nichts von dem Wegwerfcharakter hat, den so manches Kartonmöbel erkennen lässt. Zum Namen Pinocchio inspirierten den Gestalter die Holzbeine und das Kartonmaterial, "der Holzpuppe machte sein Meister doch auch ein Papierkleidchen", meint Dessi.

Dessi ist Autorendesigner durch und durch. Nicht nur, weil (bisher) noch keiner in die alte Lederfabrik kam und ihn beauftragte, ein Regal oder sonst etwas für ihn zu gestalten. Nein, weil er an seine Objekte geht wie ein Schriftsteller, er entwirft einen Handlungsstrang und feilt an seiner Formensprache und den Werkstoffen wie der Dichter an seinen Sätzen und Kapiteln. Dies veranlasst ihn auch zu sagen, "ich schicke nie mehr ein Rendering von einer Entwurfsidee irgendwohin, denn wenn ich an der Umsetzung des Objekts arbeite, muss ich dauernd Dinge verändern und heraus kommt ein ganz anderes Möbelstück." Ob er irgendwann einmal mitnaschen will an dem großen Kuchen, den sich die mittlerweile wie Stars verehrte Designer à la Marc Newson aufteilen dürfen? "Ich sehe dieses Stargehabe um Designer eher als Bestätigung dafür, dass deren Leistung honoriert wird. Als ich mit Design anfing, hatte ich keine Ahnung davon, wer ein Marc Newson ist." Mittlerweile weiß er es. (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/28/11/2008)