Blick in die "Public Library" in Armagh.

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Das ozeankreuzergroße "Slieve Donard"-Hotel aus Viktornanischer Zeit.

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Golfplätze, wie hier das Lough Erne Golf Resort. geben in Irland den Grünton an.

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Grafik: DER STANDARD

"Das war's. Schon vorbei", sagt Busfahrer Robbie in heiter-begütigendem Zahnarzt-Ton beim Grenzübertritt von der Republik Irland ins britische Nordirland, als der Bus auf der N1 von Dublin kommend über die unsichtbare Grenze fährt. Robbie, der Busfahrer, wird an den folgenden Abenden lange, beherzte Vorträge über den richtigen Glauben (gemäß dem Wort der Bibel), über bedauerlicherweise Fehlgeleitete (die Katholiken) und die große, spirituelle Bedeutung des Heiligen Patrick halten. Wen wundert's? Das Motto der Reise lautet "Auf den Spuren von St. Patrick". Der Zufall hat den passenden Busfahrer dazu abgestellt.

Ab hier sind die Straßenschilder nicht mehr in Englisch und Gälisch, sondern nur noch in Englisch, und statt Kilometer- gelten Meilenangaben. Östlich, entlang der Irischen See, erheben sich die Mourne Mountains. Für irische Verhältnisse ist der braune Hügelzug berghoch. Die schroffen Granithänge und dramatisch schön in mystischen Nebelschwaden hängenden Gipfel inspirierten C. S. Lewis zu seinen berühmten Fantasy-Romanen "Die Chroniken von Narnia".

Am Fuße der Mourne Mountains verbrachte der aus Belfast stammende, von christlicher Symbolik beeinflusste Schriftsteller die Sommer seiner Kindheit, und zwar ganz in der Nähe des Badeorts Newcastle, einer Art nordirischem Miniatur-Brighton. Dort gibt es endlos lange Strände, an denen sich schon frühmorgens Herr und Hund forsch ausschreitend gegen steife Brisen stemmen, und hinter den grasbüscheligen Dünen, die sich ans ozeankreuzergroße "Slieve Donard"-Hotel aus Viktorianischer Zeit anschließen, verbirgt sich einer der 100 besten Golfplätze der Welt.

Erwähnenswert ist das auch, weil das Gerücht umgeht, in Irland gebe es mehr Golf- als Kinderspielplätze. Was das Grün anlangt, tun sich die Iren leicht. Die "Emerald Isle" hat so viel Regen, Niesel und Feuchtigkeit, dass es ihr nicht schwerfällt, Johnny Cash's Hommage-Song "Forty Shades of Green" noch zu übertrumpfen. Weit mehr als 40 Grün-töne gibt es hier: Vom satten Hellgrün der schafgesprenkelten Weiden über das Dunkelgrün der Weißdornhecken bis zum glänzenden Wachsgrün der Säu- leneiben, die den irischen Friedhöfen mit den windschiefen Grabsteinen einen leisen mediterranen Touch geben. Gut 200 Jahre alt sind die Eiben, die am Friedhof von Kells wachsen und spätnachmittags lange Schatten auf die mittelalterlichen Hochkreuze aus Stein werfen. Kells kennt jeder, obwohl kaum je einer in das kleine nordirische Städtchen in der Grafschaft Meath kommt. Hier wurde das "Book of Kells" fertiggestellt, eine mittelalterliche Handschrift, die wegen ihrer üppigen Illustrationen als ein touristisches Highlight gilt. Zu sehen ist sie allerdings nicht hier, sondern im Trinity College in Dublin.

Wenn man in Kells allerdings Glück hat und die alte Mrs. Carpenter zu Hause ist, kann man sich von ihr das Tor zum letzten Steinhaus aus dem 9. Jahrhundert aufschließen lassen, das hier noch erhalten ist. Gebeugt schlurft Mrs. Carpenter voran, winzig in ihrer Plüschjacke und Jogginghose, auskunftswillig und kenntnisreich: "Das Book of Kells wurde in Iona an der schottischen Westküste begonnen und vor Wikingerangriffen von Mönchen hierher in Sicherheit gebracht", erklärt sie und bleibt wie eine Wächterin an der Tür stehen. Es diente als Kapelle und Skriptorium. Eine enge Metallstiege klettert man hinauf unters ebenfalls steinerne Dach, wo drei winzige Räume hintereinander liegen, in denen nicht einmal ein Kind aufrecht stehen könnte. Hier saßen die Mönche und schrieben.

Multimedialer Heiliger

Weiter geht es nach Downpatrick, wo der Heilige Patrick im Jahr 432 sein Missionswerk begonnen haben soll. Auf dem Friedhof markiert ein riesiger Granitblock, den der Normanne John de Courcy bereits schon im 12. Jahrhundert aus Public-Relations-Überlegungen aufstellen ließ, den möglichen Ort von Patricks letzter Ruhestätte.

Durch die Kathedrale selbst führt Joy Wilkinson. In Nordirland, berichtet sie, habe man gegenüber Touristen mitunter immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen: "Vor kurzem sagte eine Kanadierin zu mir: 'Ich habe es mir hier mehr wie im Gazastreifen vorgestellt'." Joy zieht eine Grimasse und lacht: "Manche Besucher scheinen zu erwarten, dass wir Hörner haben." Sicher gab es auch in Down- patrick Bombenattentate, zuletzt 1987 auf das Gerichtsgebäude, aber normal gelebt wird hier trotzdem, sagt Joy, auch wenn die bunten Glasfenster der Kathedrale sicherheitshalber mit Platten vor Bombendruckwellen geschützt sind.

Im neuen "St. Patrick Centre" von Downpatrick lernt man multimedial via Imax-Kinofilm, mehrsprachige Touchscreen-Stationen oder Bastelecken über Leben und Wirken des Heiligen. Tim Campbell, der junge Direktor des Centers, geht fast über vor Enthusiasmus: "Das Centre ist nicht konfessionell gebunden und apolitisch. In diesem Teil der Welt ist das ziemlich ungewöhnlich." Der Heilige Patrick wird hier - abseits von grün gefärbtem Bier, Shamrock-Klee und johlenden Umzügen zum St. Patrick's Day - als Bindeglied zwischen den Religionen präsentiert, als allen Iren gemeinsame historische Gestalt, mit deren Hilfe Gräben überbrückt werden können.

Spuren eines zweigeteilten Landes: hier Saul Hall, eine kleine protestantische Kirche außerhalb von Downpatrick, gebaut im Jahr 1932, die an den Ort von Patricks erster Kirchengründung in Irland erinnert - dort auf einem Hügel gegenüber, auf den ein schmaler Pilgerweg hinaufführt, eine große Statue, die den Heiligen Patrick als Bischof darstellt, der er nicht war, auch sie aus dem Jahr 1932, errichtet von Katholiken. Nicht ohne Erleichterung rettet man sich angesichts dessen in die herrlichen Ruinen von Inch Abbey, einer Zisterzienser-Abtei aus dem 12. Jahrhundert, als von Reformation noch keine Rede war.

Im klerikalen Zentrum von ganz Irland, in Armagh, geht es gleich weiter: Die Wahrzeichen der Stadt sind zwei Kathedralen zu Ehren des interkonfessionellen Heiligen Patrick, eine protestantisch, eine katholisch, auf zwei einander gegenüberliegenden Hügeln. Die katholische ist ein Wunderwerk der Innengestaltung: über und über ausgeschmückt mit kleinteiligsten Mosaiken. Wirklich aufregend aber ist die "Public Library" von Armagh: ein schöner, eleganter Bau aus dem 18. Jahrhundert, ein nüchternes Kind der Aufklärung, welche - neben der St.-Patrick-Forschung - einer der Schwerpunkte der Bibliothek ist. Ein weiterer ist der berühmte irische Satiriker und anglikanische Priester Jonathan Swift. In einer Vitrine liegt eine Erstausgabe seiner "Gullivers Reisen" aus dem Jahr 1726. "Die Ausgabe wurde uns 1999 bei einem bewaffneten Raubüberfall gestohlen. Die Polizei hat sie uns zwei Jahre später zurückgebracht", erzählt die Bibliothekarin Carol Conlin.

Noch weiter westlich, im Landesinneren, liegt am Lough Erne - einem Süßwassersee - das Städtchen Enniskillen, das irische Zentrum des Hausboottourismus. Auf einem Hügel am Ortsrand steht das duster-schöne Gebäude der exklusiven Privatschule "Portora". Deren berühmtester Schüler, Oscar Wilde, der wegen seiner Homosexualität zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden war, blieb bis vor wenigen Jahren schamhaft aus allen Schulchroniken gestrichen.

Unterhalb von "Portora" fahren die Ausflugsboote weg, die einen zum Devenish Island bringen, einer kleinen Insel mit einer verfallenen Klosteranlage, die bis ins 17. Jahrhundert zu den wichtigsten religiösen Stätten Irlands gehörte. Hier atmet es sich frei. Die Luft ist klar und kühl, das unvergleichliche irische Licht verleiht jedem Ding eine ungeheure Plastizität, der Himmel leuchtet blau, dunkel glatt das Seewasser, saftig grün die Wiesen. Fast könnte man darüber den Heiligen Patrick vergessen. (Julia Kospach/DER STANDARD/Rondo/7.11.2008)