STANDARD-Ausgabe vom 28./29. November 1992

Foto: DER STANDARD

Wir haben die Hitze auf der Haut gespürt. Damals, als wir in der Nacht auf dem Dach des Verlagshauses gestanden sind und hinüber geschaut haben auf die brennende Hofburg. Auf der einen Seite des Michaelerplatzes wir, auf der anderen die Redoutensäle. Die Flammen sind, wie man so sagt, himmelhoch in die Nacht geschossen. Zu unseren Füßen ist ruhig die Stadt gelegen, gerade so, als wollte sie diese wilde Feuersbrunst hingebungsvoll erleiden. Das Krachen berstenden Holzes war zu hören, wenig sonst, die Innenstadt war Sperrzone geworden.

Es war die Nacht zum Freitag, dem 27. November 1992. Eine junge Kollegin löste den größten Sondereinsatz in der Redaktionsgeschichte aus. Sie war in den Morgenstunden zufällig noch unterwegs, hörte die Nachricht, alarmierte unseren Nachtportier (Handys waren damals noch nicht in Gebrauch) und eilte zum Brandort. Bald drückte ihr ein Polizist die Zügel eines jungen Lipizzaners in die Hand: "Junge Frau, ich muss Sie leider bitten, nehmen S' des Ross und reden S' gut drauf ein". Wenig später hatte das Ross der jungen Frau das Gebiss zertrümmert. Petra Stuiber leitet heute das Chronik-Ressort.

"Die Hofburg brennt": Mit diesem Satz wurde die Standard-Belegschaft aus den Betten geholt. Nur Feuerwehrmänner können schneller in die Kleider schlüpfen. In den Morgenstunden herrschte in der Redaktion Betriebsamkeit, wie sonst nur an einem Wahlabend. Das Züngeln der Flammen drang durch die großen Balkontüren in den Hauptproduktionsraum, eine Sonderausgabe war in Arbeit, Chefredakteur Gerfried Sperl konzipierte und dirigierte Fotografen und Reporter gleichzeitig.

Wir mussten überall gleichzeitig sein: Auf dem Josephsplatz, als Feuerwehrmänner die Fenster der Redoutensäle einschlugen und dahinter nur Blendwerk aus Mauersteinen zum Vorschein kam. Im Prunksaal der Nationalbibliothek, als dort Alarmeinheiten der Polizei Menschenketten bildeten und die wertvollen Buchbestände retteten.

Um 1.27 Uhr war der erste Feueralarm ausgelöst worden, zu Mittag hatten wir eine 16-Seiten-Sonderausgabe fertig: Ganzseitige Fotos, die in bis dahin ungekannter Eindringlichkeit die Authentizität des Geschehens vermittelten; Texte, die ausdrückten, was journalistischer Enthusiasmus zu bewegen vermag; ein kleines Stück Zeitungsgeschichte. (Otto Ranftl, DER STANDARD; Printausgabe, 18./19.10.2008)