Warum arbeitet ein so radikales Designlabel wie Comme des Garçons mit einem Kleidermulti zusammen? Aus Marketinggründen, sagen die einen, um die eigene Mode allen zugänglich zu machen, die anderen.

Foto: H&M

Asymmetrische Schnitte

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Pünktchenmuster

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Schnürschuhe, dekonstruierte Jacken: Comme des Garçons' Kollektion für H & M vereint jene Designelemente, für die die japanische Avantgarde-Marke seit 20 Jahren berühmt ist.

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Sie ist in ihren Siebzigern, pensionierte Chemikerin und trägt seit beinahe 20 Jahren Comme des Garçons. "Manchmal", sagt Elisabeth Wilflinger, "kaufe ich auch etwas von einem anderen Designer. Danach ärgere ich mich, ich trage es nämlich nicht." Heute trägt Wilflinger eine netzartige Weste über einem schwarzen Rolli. Ein bisschen schaut das Kleidungsstück wie ein Pistolenhalter aus.

Menschen wie Elisabeth Wilflinger wird man am 13. November kaum in einer H & M-Filiale antreffen. An diesem Tag kommt eine von Rei Kawakubo, der Designerin hinter Comme des Garçons, entworfene Kollektion in die Geschäfte. Mit ihr wagt sich der schwedische Kleidermulti so weit vor wie noch nie. Machte das Wort "Avantgarde" in der Mode nämlich jemals Sinn, dann würde man es am ehesten Comme des Garçons umhängen. Die japanische Marke ist seit über zwanzig Jahren das, was Jeff Koons einmal in der Kunst oder Bob Wilson im Theater waren. Während Letztere allerdings vom Markt aufgesogen wurden, ist Kawakubo eine Außenseiterin der Modeszene geblieben. Die Ankündigung der Zusammenarbeit mit dem weltweit zweitgrößten Bekleidungskonzern hat im April dieses Jahres zu einigem Stirnrunzeln geführt.

Nicht so bei Elisabeth Wilflinger. Die ältere Dame, die schon etwas schwach auf den Beinen ist, hat sich über die Jahre hinweg an die boshaften Bemerkungen i i über ihren Kleidungsstil gewöhnt: "Anfangs musste ich all meinen Mut zusammennehmen, um in gewissen Kleidungsstücken auf die Straße zu gehen. Aber ich trage Kleidung nicht, weil sie mir schmeichelt, sondern weil ich sie schön finde." In Kawakubos Kollektion für H & M sieht sie die Möglichkeit, eine breitere Trägerschaft mit Commes-Design bekanntzumachen: "Kawakubo selbst sieht ihre Kleidung nicht für Eliten."

Lagerfeld war der erste

Designermode für alle - dieses Prinzip stand auch am Anfang der Zusammenarbeit von H & M mit einzelnen Designern. Als Karl Lagerfeld die erste Kapselkollektion bei der Modegroßkette herausbrachte (2004), war die Aufmerksamkeit riesig. Bei den Nachfolgern Stella McCartney, Viktor & Rolf und vor allem bei Roberto Cavalli war das Interesse dann schon bei weitem nicht mehr so groß. Mittlerweile sind Designer- und Celebrity-Kooperationen auch für Multis wie Mango oder Topshop zu einem alltäglichen Geschäft geworden.

Ziemlich entspannt sieht denn auch Nikos Andriopoulos die Zusammenarbeit der beiden Unternehmen. Er ist der Mann, der in Österreich das größte Angebot an Comme des Garçons führt (im Geschäft Emis am Wiener Wildpretmarkt), ja ohne ihn ist Comme des Garçons in Österreich überhaupt nicht vorstellbar. "Ich habe Comme des Garçons nach Österreich gebracht, weil ich Kawakubo genauso genial wie radikal finde." Für ihn ist die Kollektion in erster Linie ein großer Marketinggewinn für H & M. "Ich verstehe nicht, warum Comme des Garçons sich auf so eine Zusammenarbeit überhaupt einlässt. Man hat das doch nicht nötig."

Keine kommerziellen Kompromisse

Darüber gehen die Meinungen auseinander. Immer wieder hat das wirtschaftliche Mastermind hinter der Marke, Kawakubos-Ehemann Adrian Joffe, versucht, das Label breiter zu positionieren. Neue, günstigere Linien wurden eingeführt, Parfums auf den Markt gebracht, Kooperationen mit Fred Perry, Moncler und Speedo lanciert. "Wir sind eine Nischen-Brand", sagte Joffe im Frühjahr dieses Jahres im Gespräch mit dem RONDO. "Wollen wir überleben, müssen wir wachsen." Das ist für ein mittelgroßes Unternehmen wie Comme des Garçons (der Umsatz lag zuletzt bei 180 Millionen Dollar) in den vergangenen Jahren aber immer schwieriger geworden. Die Konkurrenz durch die Luxuskonglomerate ist einfach zu groß. Für einen von ihnen, für Louis Vuitton, designte sie gerade eine (ausschließlich in Japan vertriebene) Handtaschenkollektion.

Die Stagnation der Marke hat aber auch interne Gründe: "Kawakubo ist zu keinen kommerziellen Kompromissen bereit", erzählt Andriopoulos: "Über die Jahre hinweg sind ihre Kollektionen nicht einfacher, sondern schwieriger geworden." Auch bei der Zusammenarbeit mit H & M gab es einige Irritationen: Die im April noch vollmundig angekündigte Kinderkollektion ließ Kawakubo plötzlich sausen, die von ihr vorgeschlagene Kampagne wurde dagegen von H & M zurückgewiesen: Darauf war nämlich keine Mode zu sehen.

Bilder seit August im Umlauf

Eine Ahnung von der Sperrigkeit der Marke und ihrer Designerin liefern auch die Bilder der H & M-Kollektion, die bereits seit August im Internet im Umlauf sind, aber erst jetzt veröffentlicht werden dürfen. "Für mich ist das eine Art Best-of-Comme-des-Garçons-Kollektion", erklärt Walter Seidl, seines Zeichens Kurator für zeitgenössische Kunst in Wien und seit Anfang der Neunziger Comme-Stammkunde.

Asymmetrische Schnitte, weite Shorts, Pünktchen-Muster, dekonstruierte Jacken und Röcke, Schnürschuhe, viel Pink und Schwarz: All diese Elemente werden auch in der H & M-Kollektion (sie beinhaltet auch Accessoires und ein Unisex-Parfüm) zu finden sein. Die Frage ist nur: In welcher Qualität? Die Kompromisslosigkeit von Comme des Garçons bezieht sich nämlich nicht nur auf das Design, sondern auch auf die Verarbeitung.

Bei Preisen von 19 Euro für ein T-Shirt, 79 für das Damenjackett oder 199 für den Männeranzug werden die Maßstäbe, die Comme des Garçons normalerweise auszeichnet, kaum zu halten sein. Das teuerste Stück der Kollektion ist ein viktorianisches Rüschenkleid (299 Euro). Für Comme-des-Garçons-Mode ist das denkbar wenig: Den versetzt geschnittenen Anzug, erzählt Andriopoulos (Bild unten links), habe es vor etwa fünf Jahren bei ihm im Geschäft um etwa 1800 Euro gegeben. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/10/10/2008)