Ganz Moskau schwelgt im Luxus: das Ritz-Carlton Hotel an der noblem Einkaufsmeile Twerskaya.

Foto: Ritz-Carlton Hotel
Grafik: DER STANDARD

Zwei Tische weiter hat man gerade die zweite Flasche Wein bestellt. Der baumlange Chef-Sommelier Alexej Mitrofanow bringt die Bouteille Château Petrus und dekantiert sie mit der gebotenen Eleganz. Der edle Tropfen hat schließlich seinen Preis: um einiges jenseits der 200.000 Rubel, umgerechnet rund 7000 Euro.

Es ginge im Jeroboam, dem exquisitesten der drei Restaurants im Moskauer Ritz-Carlton, aber natürlich auch noch teurer: Ein Grand Cru Jahrgang 1961 kostet ziemlich genau das Zehnfache.

Das Jeroboam, dessen Name eigentlich eine übergroße Champagnerflasche bezeichnet, wird offiziell vom deutschen Drei-Michelin-Sterne-Koch Hans Winkler betrieben. "Jeden Monat kommt er für drei Tage nach Moskau, um hier nach dem Rechten zu sehen", sagt Mathias Schörgmayer, einer der beiden Sous-Chefs des kulinarischen Elitentreffs in unmittelbarer Kreml-Nähe. "Aber im Wesentlichen lässt er uns alle Freiheiten."

Eigentlich steht das Jeroboam nämlich unter österreichischer Regie. Winklers mehr als nur platzhaltender Küchenchef ist Leonard Cernko, der es "Im Kloster Und" bei Krems mit 27 Jahren zum Titel "Koch des Jahres" gebracht hatte, ehe er 2007 mit seinen beiden langjährigen Mitarbeitern Mathias Schörgmayer und Stefan Reitner nach Moskau übersiedelte, wo er den Gästen eine deutsch-französische "Cuisine vitale" nach der Handschrift Winklers offeriert: leichte und hocharomatische Kreationen, kunstvoll arrangiert und doch ohne allen kosmetischen Firlefanz. Umgerechnet 300 Euro inklusive Weinbegleitung sind dafür zu veranschlagen - und findet in jener Stadt, in der zurzeit die meisten Dollar-Milliardäre (offiziell 74 im Vergleich zu den 72 von New York und den 36 in London) wohnen, ohne weiteres seine Klientel. Auch wenn es den typischen Moskowiter Neo-Millionären im Jeroboam womöglich zu leise, zu wenig verraucht und zu kalorienarm zugehen dürfte.

Hemmungslos Luxuriös

Nach den Jahrzehnten des Sozialismus und des verordneten Egalitarismus schlägt in der russischen Hauptstadt das gesellschaftspolitische Pendel immer noch weiter ins Gegenteil aus. Kaum wo sonst auf der Welt wird im Moment so hemmungslos dem zur Schau getragenen Luxus gefrönt wie in Moskau. Kaum woanders sind aber auch die Klassengegensätze - oder besser: Einkommensunterschiede - stärker ausgeprägt. Während gewöhnliche Uni-Professoren oder Ärzte keine 500 Euro pro Monat verdienen, haben es immerhin rund 70.000 Personen allein in Moskau zum Millionär gebracht.

Entsprechend gibt es wohl wenige andere Städte auf diesem Planeten, in denen mehr Maybachs und Bentleys auf den Straßen zu sehen sind als in der Gut-Zehn-Millionen-Metropole, die sich anschickt, 2010 New York als die Stadt mit dem höchsten Budget der Welt zu überholen. Geschätzte 27 Milliarden Euro Steuereinnahmen fließen allein heuer in die Stadtkassen, flüssig gemacht zum Gutteil durch die gigantischen Erdöl- und Erdgasvorkommen des von hier aus verwalteten Riesenreiches.

Der neue Reichtum schlägt sich in Moskau auch in architektonischen Superlativen nieder: Auf der größten Baustelle der Welt wird unter anderem auch "Crystal Island" errichtet, das nach Quadratmetern größte Gebäude, entworfen vom britischen Stararchitekten Norman Foster. Kräne stehen in der ganzen Stadt. Mit einigen davon werden Hotels im Luxussegment errichtet. Die Preise für Baumaterial, vor allem aber auch die für Wohnungen sind explodiert: "Die Mieten betragen das Dreifache von Wien", klagt Nachwuchskoch Mathias Schörgmayer, dessen Gehalt vom Jeroboam entsprechend angepasst wurde.
Das im Juli 2007 eröffnete Luxushotel Ritz-Carlton an der noblen Einkaufsmeile Twerskaya ist eine der besten Versinnbildlichungen für Moskaus radikalen Transformationsprozess, dessen Ende weniger denn je absehbar scheint. Wo zu Zeiten von Breschnew & Co. in der schäbigen, 22 Stockwerke hohen Plattenbauabsteige "Intourist" ein in jeder Hinsicht beschränkter Pauschaltourismus angesagt war, wird dem betuchten Gast im mondänen Ritz-Carlton hinter einer klassizistischen Fassade mehr geboten, als sich ein - im weitesten Sinne - sozialdemokratisch sozialisierter Mitteleuropäer überhaupt nur wünschen kann.

Auf elf Etagen, die in einem nicht ganz unprotzigen russisch-imperialen Stilmix gehalten sind, gibt es 334 Zimmer, in denen rötliches Kirschholz und Marmor aus Portugal und dem Altai dominieren. In den übrigen Räumlichkeiten wurden einige Dutzend Kilo Blattgold gut sichtbar verarbeitet. Im günstigsten Fall zahlt man pro Nacht und mindestens 42 Quadratmeter umgerechnet rund 700 Euro, was die Hotelzimmer mit zu den teuersten nicht nur Moskaus, sondern der Welt macht. Die Suite kostet für das Wochenende 6400 Euro - im New Yorker Luxushotel Four Seasons zahlt man nicht einmal die Hälfte.

Was wiederum nicht heißen soll, dass man sich nicht auch noch einige Extras genehmigen kann: Unter den mehr als 400 Mitarbeitern des Hotels gibt es natürlich auch einen eigenen Bad-Butler, der gegen ordentlichen Aufpreis die Badewanne im Hotelzimmer mit besonderen Aromen aufpeppt und dazu passende Getränke und Tabakwaren reicht. Das Zaren-Frühstück inklusive Edelwodka, Gänseleber und Kaviar ist mit knapp 1000 Euro pro Person zu veranschlagen. Ohne Trinkgeld, versteht sich.

Fisch Frisch aus Tokio

Während die beiden Restaurants des Hotels - Winklers Jeroboam und das russisch-georgische Caviarterra - im Erdgeschoß untergebracht sind, thront die O2-Lounge hoch oben auf dem Dach im zwölften Stock des Ritz-Carlton. Von kaum einem Ort hat man einen besseren Blick auf den Kreml und den Roten Platz als von der gestylten Bar und der Dachterrasse. Man kann aber natürlich auch auf eine riesige weiße Wand schauen, auf der nonstop Videos von den wichtigsten Modeschauen und besten Parties rund um den Globus laufen.

Die Moskauer Jeunesse dorée scheint es sich jedenfalls gerne unter der spektakulären Glaskonstruktion auf weißen Sofas und Kokon-Sesseln aus rotem Brokat bequem zu machen und sich an japanischen Köstlichkeiten zu laben, deren Zutaten viermal wöchentlich direkt vom Fischmarkt in Tokio eingeflogen werden. Bis vor kurzem hat es - vor allem für die Gäste aus Deutschland - aber auch bodenständigere Kost gegeben: eine Currywurst für 30 Euro. Das ist auch in etwa für einen Cocktail in der O2-Lounge zu veranschlagen, etwa für einen "Moscow Sangaree", mit dem Chef-Mixer Roman Milostivy vor kurzem einen internationalen Wettbewerb in Amsterdam und den Titel „Master of Cocktails 2008" gewann.

Champagner aus dem Wrack

Ein Schnäppchen im Vergleich zu den Weinen, die im Keller des Jeroboam lagern - im Wert von rund zwei Millionen Euro. Dazu gibt es freilich noch ein paar besondere Raritäten_. Zum Beispiel zehn Flaschen eines Heidsieck-Champagners Jahrgang 1907, der 1998 aus dem Wrack des schwedischen Schoners Jönköping geborgen worden war, wo er mehr als 80 Jahre zwischengelagert war. Rufpreis: rund 25.000 Euro die Flasche.

Oder eine der drei letzten Flaschen vom Macallan Single Malt Whisky aus dem Jahr 1926, dem teuersten Whisky der Welt. Für knapp 100.000 Euro wird sich wohl ein Abnehmer finden. Wo sonst, wenn nicht im Ritz-Carlton in Moskau. (Klaus Taschwer/DER STANDARD/Rondo/3.10.2008)