Hao Lulu kam am 21. Juli erstmals unters Messer. Chefarzt Feng Lizhe schnitt ihr Lidfalten unter die Augenbrauen. Drei Tage wartete die Frau aus Peking, bevor sie den Verband abnahm. "Ich sah im Spiegel meine hervorquellenden Augen. Wie ein Goldfisch", erschrak die 24-Jährige. Die junge Chinesin, die einst Edelsteinkunde studierte, traute sich einen Monat lang nicht, ihre Mutter zu besuchen. Dabei war das nur der Anfang eines bis November dauernden Operationsmarathons und die erste von 16 "Verschönerungen" ihres Gesichts und Körper.

Chirurgisch neu geformt

Im Krankenhaus der Evercare-Gruppe in Peking wurden Hao Lulu Nase, Kinn, Busen, Hals, Hüften bis zum Oberschenkel gestrafft oder chirurgisch neu geformt. "Es hat sich gelohnt", erzählt sie dem STANDARD - obwohl noch eine Operation auf sie wartet. Die 30.000 Euro teuren Eingriffe zahlte eine Werbeagentur: Das "Pekinger Entlein" erhielt ein Idealgesicht - und ist nun Werbeträgerin der Chirurgie. Zeitungen begeistern sich für "Chinas erste künstliche Schönheit". Die Vermarktung des "chinesischen Aschenputtel" hat einen Run ausgelöst. Schon lange lassen sich Frauen wie am Fließband operieren, liften und verändern. Helle Hautfarbe oder "oushi yanpi" (europäische Augen) galten stets als schön - heute boomt die Nachfrage erst recht.

"Unsere Mädchen sind wie wild hinter der künstlichen Schönheit her", meldete die Nachrichtenagentur Xinhua in einem Bericht über Schanghais Hospital Nummer 9. Letztes Jahr führte es 26.000 kosmetische Operationen aus, 40 Prozent mehr als 2002.

Beinverlängerungen sind extrem qualvoll

Die neue Schönheitswirtschaft hat auch Schattenseiten. Jährlich misslingen 20.000 Operationen. Chirurg Liu Ligang vom Volkskrankenhaus in Shenzhen berichtete, dass seine Klinik bei 50 Prozent ihrer Schönheitsoperationen korrigiere, was andere angerichtet hätten.

Unbekannt ist die Dunkelziffer missratener Eingriffe bei einer der grausamsten Formen der Schönheitsoperationen: Dutzende Kliniken haben sich darauf spezialisiert, Chinas extrem klein gewachsene Mädchen Beinverlängerungen zu ermöglichen. Die qualvolle und lang dauernde Operation ist für verzweifelte Frauen oft die letzte Chance, einen Beruf oder Mann zu bekommen.

Knochenmasse muss in fünf Monaten nachwachsen

Die Operationen kosten ab 3000 Euro aufwärts; die Beine können um mehr als zehn Zentimeter verlängert werden. Nach der Methode des russischen Arztes Ilizarow werden sie pro Tag um bis zu einem Millimeter gestreckt. Vorher sind sie chirurgisch am Ober- und Unterschenkelknochen gebrochen und in Metallgehäusen genagelt worden. Neue Knochenmasse kann nachwachsen, während die Beine auseinander gezogen werden. Mindestens fünf Monate dauert die Heilung, wenn das Bein um zehn Zentimeter verlängert wird.

Militärhospitäler gelten als beste Adressen - und werben mit ihren Erfahrungen in plastischer Chirurgie. Auf den Webseiten (etwa: www.455.com.cn) beantworten Fachärzte Fragen. Die Armeeärzte haben sich auch auf die Bedürfnisse einer sexuell freieren Gesellschaft eingestellt: Neu im Angebot sind Geschlechtsumwandlungen und Penisverlängerungen. Jungen Frauen wird ihre Rückverwandlung zu Jungfrauen versprochen - durch die Instandsetzung des Jungfernhäutchens. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD Printausgabe 31.1.2004)