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Lordrichter Hutton bei seinem Statement

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Tony Blair darf sich freuen

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Mittwoch, 12.30 Uhr, ein karger Gerichtssaal im Londoner Royal Court of Justice. Brian Hutton beginnt, ein 328 Seiten dickes Papier zu erläutern. Es ist der Moment, auf den die britische Politik seit Wochen wartet. Als Hutton nach knapp eineinhalb Stunden fertig ist, steht fest: ein fulminanter Freispruch für Premier Tony Blair, zugleich scharfe Kritik an der BBC, dem besten Rundfunksender der Welt.

Hutton, bis Jänner Lordrichter, jetzt ausgeschieden aus Großbritanniens höchster Berufungsinstanz, sollte untersuchen, warum sich David Kelly im vergangenen Juli das Leben nahm. Kelly, ein Biowaffenexperte des Verteidigungsministeriums, wurde mit aufgeschnittenen Pulsadern an einem Waldrand bei Oxford gefunden. Zwei Monate zuvor hatte er mit dem BBC-Radioreporter Andrew Gilligan gesprochen, und Gilligan spitzte das Gesagte dramatisch zu: Blairs Kabinett, meldete er ohne Quellenangabe, habe die Gefahr irakischer Waffen wider besseres Wissen hochgespielt und behauptet, Saddam Hussein könne innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen einsetzen. Bald wurde Kellys Name als BBC-Quelle publik. Der Wissenschafter, dem Druck nicht gewachsen, beging Selbstmord.

"Durch nichts begründet"

Im August und September hat Hutton 75 Zeugen vernommen, Politiker, Journalisten, Hinterbliebene, Gerichtsmediziner. Vier Monate brauchte er, um seine Schlussfolgerungen zu Papier zu bringen. Jetzt liest er sie vor. "Eine schwer wiegende Anschuldigung", weist Hutton den BBC-Journalisten zurecht, "durch nichts begründet." Blair habe das Dossier nicht aufbauschen ("sex up") lassen, wie es Gilligan gemeldet hatte. Blair habe sich auf seine Geheimdienste und ihre Quellen im Irak verlassen. Dass die 45-Minuten-Information im Rückblick zweifelhaft klinge, habe man ihm damals nicht ankreiden können.

Dann geht Hutton mit der BBC ins Gericht, mit Chefredaktion und Aufsichtsrat gleichermaßen. Der Sender habe es versäumt, Gilligans Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen, eine Verletzung redaktioneller Pflichten.

Am 9. Juli 2003 schreiben die großen britischen Zeitungen, dass Kelly die Quelle des heiß debattierten BBC-Berichts war. Vorangegangen war ein Frage-und-Antwort-Spiel des Verteidigungsministeriums: Mit diskreten Hinweisen auf frühere Tätigkeiten und Spezialkenntnisse hatte man eine Spur gelegt, die zwangsläufig zu Kelly führen musste. Warum hat Geoff Hoons Ministerium Kellys Anonymität nicht geschützt? Stand Blair selbst hinter dem Leck?

Hutton glaubt nicht, dass Downing Street ein zynisches Spiel spielte, nämlich, den Namen Kellys preiszugeben, um im Streit mit der BBC über einen Kronzeugen zu verfügen und Gilligan Lügen zu strafen. "Es gab keine heimliche Strategie", sagt der Richter. "Der Premier hat sich nicht unehrenhaft verhalten."

Im Gegenteil, Blair habe befürchten müssen, dass Journalisten über kurz oder lang erraten würden, dass Kelly die Quelle des BBC-Reports war. Dass der Premier im Juli auf einer Asienreise jegliche Verantwortung für die Herausgabe des Namens Kelly bestritt - die Opposition sieht darin eine faustdicke Lüge -, wirft für Hutton "kein zusätzliches Licht auf die Dinge".

Der einzige Politiker, den der Lord in die Mangel nimmt, ist Hoon. Dessen Verteidigungsministerium hätte Kelly informieren müssen, bevor es sein Frage-und-Antwort-Spiel mit den Medien begann. "Dr. Kelly fühlte sich im Stich gelassen", sagt Hutton. Er habe um seinen Job gebangt, Hoffnungslosigkeit habe ihn erfüllt. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.1.2004)