Graz - Es herrscht Rutschgefahr auf dem zugefrorenen See der Krokodilstränen, die in diesen Wintertagen für den ehemaligen Vordenker der ÖVP, Gerhard Hirschmann, von Freund und Feind vergossen werden. Seit der ehemalige ÖVP-Politiker aus der Vorstandsetage des steirischen Energieunternehmens Estag - gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen Werner Heinzl und Hubert Jeneral - gefeuert wurde, wird in der Volkspartei, aber nicht nur dort, Betretenheit gezeigt.

Landeshauptmann Waltraud Klasnic, die mit dem Estag-Skandal - es geht um unternehmerische Verfehlungen - erstmals ernsthaft unter Druck gekommen ist, versucht die irritierte Parteibasis zu beruhigen. Sie will sogar eine Rückkehr Hirschmanns in die Politik nicht mehr ausschließen. Klasnic am Montag nach der Regierungssitzung: "Für Gerhard Hirschmann ist eine Tür in der ÖVP immer offen."

Aber auch die SPÖ, die vor Jahren noch zu den erbittertsten Gegnern Hirschmanns zählte, steht nun demonstrativ hinter ihm. Sie sieht ihn als "Märtyrer", den seine eigene Partei, die ÖVP, fallen gelassen habe. Die SPÖ berief für heute, Dienstag, einen Sonderlandtag zur "Causa Estag" ein und unterstützte auch einen U-Ausschuss - den alle Parteien mittragen - in dem die politische Verantwortung für die Affäre, die Hirschmann ins Rollen gebracht hatte, geklärt werden solle.

Ziel der Angriffe der Sozialdemokraten ist Finanzlandesrat Herbert Paierl, dem vorgeworfen wird, er habe zu zögerlich auf die ersten Anzeichen der Affäre um Fehlkalkulationen, hohe Vorstandsgagen und fragliche Firmenverflechtungen reagiert. Hirschmann habe sehr früh Alarm geschlagen. Paierl und auch Klasnic wehren sich gegen diese Vorwürfe und verweisen auf die rasche Einschaltung des Bundesrechnungshofes und die Einleitung einer aktienrechtlichen Sonderprüfung. (Walter Müller/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.1.2004)

Das Ergebnis der Sonderprüfung bot ja mit eine Grundlage für den Rausschmiss des Vorstandstrios. Hirschmanns journalistische Aufdeckung von Verfehlungen in seinem eigenen Unternehmen - er schrieb darüber Kolumnen - führte laut Prüfbericht dazu, dass das Tagesgeschäft des Konzerns stillstand, zumal der Dreiervorstand wegen Hirschmann in einen Dauerstreit verfiel. Aufsichtsratschef Johannes Ditz ortete jetzt Handlungsunfähigkeit des Vorstandes und suspendierte das Trio letzte Woche.

Während SPÖ, FPÖ und Grüne die Gunst der schwachen Stunde der ÖVP nutzen und einen Sonderlandtag sowie einen Untersuchungsausschuss organisieren, rumort es auch an der Basis der Volkspartei. Unmut wird geäußert, weil Klasnic es zugelassen habe, dass auch der "Aufdecker" Hirschmann hinausgeschmissen wurde. Mancherorts wird jetzt eine Spaltung in eine Hirschmann- und Paierl-Fraktion befürchtet.