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Foto: Reuters/Mitchell

Heidelberg - Der Mann sorgt sich um seine grauen Zellen. Schon beim Frühstück. Konrad Beyreuther ist Alzheimerforscher an der Uni Heidelberg und Staatsrat für Lebens-und Gesundheitsschutz der baden-württembergischen Landesregierung. Es sagt: "Die Ernährung ist wahrscheinlich die ganz entscheidende Komponente bei Alzheimer."

Weltweit nehmen Hirnstörungen zu: Alzheimer, Parkinson, Multiple Sklerose. Und bei Kindern breiten sich Aufmerksamkeitsschwäche, Hyperaktivität und Lernstörungen aus. Michael Crawford, Leiter des Instituts für Gehirnchemie und Menschliche Ernährung an der Uni London, fürchtet sogar, dass sich die Evolution des Geistes umkehrt: "Die Kapazität des Gehirns nimmt nicht mehr länger zu, sondern tatsächlich ab." Verantwortlich sei die mangelhafte Qualität der Nahrung. Essen wir uns dumm?

Der modernen Supermarktnahrung fehlt es häufig an für das Gehirn wichtigen Inhaltsstoffen. Mehr noch, sie enthält oft Zusatzstoffe, die das Gehirn gefährden. Das schlägt sich auch auf die Psyche. Der US-Forscher Andrew Stoll meint, dass "die gewaltigen Veränderungen in unserer Ernährung" zu den "steigenden Raten psychiatrischer Erkrankungen in der westlichen Welt beigetragen" haben.

Es fehle vor allem an bestimmtem Fetten, an Omega-3-Fettsäuren. Schon 80 Prozent der US-Amerikaner zeigen hier ein Defizit. Die wilden Verwandten der Kühe, die Büffel in Busch und Savanne, hatten noch üppige 30 Prozent davon in Milch und Fleisch, moderne Hochleistungsrinder gerade noch zwei Prozent.

Die Nahrungsmittelindustrie ist darüber nicht einmal unglücklich. Denn diese "sehr langkettigen Fettsäuren verkürzen die Haltbarkeit", monierte das Fachmagazin Agro Food Industry. Haltbarkeit aber ist wichtig im Supermarkt. Und die dafür eingesetzten Zusatzstoffe wirken gleichfalls aufs Gehirn.

Risikofaktor Glutamat

Etwa der Geschmacksverstärker Glutamat: "Zu viel bringt uns um den Verstand", warnt Beyreuther. Er gelte bei allen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Multipler Sklerose als Risikofaktor. Auch die harmlos anmutende Zitronensäure in Limonaden und Fertiggerichten könne, als "Trojanisches Pferd", den Transport von Aluminium ins Gehirn befördern - und so das Alzheimerrisiko erhöhen.

Solche Zusätze gelten offiziell als unbedenklich: Sie sind auch in natürlichen Lebensmitteln enthalten, ja sogar im menschlichen Körper. Doch durch industrielle Produktion steigen die Verzehrmengen: Bei Glutamat hat sich die weltweite Produktion seit 1996 fast verdoppelt, auf 1,5 Millionen Tonnen. Auch bei Farbstoffen haben sich die Verzehrmengen vervielfacht. Früher nahmen die Forscher eine durchschnittliche Tagesdosis von 25 Milligramm an. Heute schlucken Kleinkinder nach einer EU-Studie bis zu 560 Milligramm. Und sie wirken ebenfalls aufs Gehirn.

Das hübsche Pink namens Basovit (E 127) bremste in einer Studie die Aufnahme aller getesteten Nervenbotenstoffe. Das gelbe Tartrazin (E 102) verstärkte bei 486 untersuchten Kindern mit "Zappelphilipp-Syndrom" die Hyperaktivität und die Aggressivität.

Bei der Zulassung von Zusatzstoffen sollten daher nicht nur Krebsrisiko und Schäden für das Erbgut geprüft werden, fordern Forscher wie Beyreuther, sondern auch, ob sie "das Hirn schädigen können". (Hans-Ulrich Grimm/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25. 1. 2004)