Wien - Während Frankreichs Parlamentarier mit zunehmender Konfusion der Debatte in der Nationalversammlung in der ersten Februarwoche über das Gesetz zum Verbot "auffälliger religiöser Zeichen" in den Schulen entgegensehen - führende Bürgerliche zweifeln bereits laut am Sinn eines solchen Gesetzes -, hat der türkische Parlamentspräsident den Musliminnen in Westeuropa empfohlen, gegebenenfalls vor Gericht die Rücknahme eines Kopftuchverbots zu erstreiten.

Verbot auf "realistischen Grundlagen"

"Jede Frau hat das Recht zu entscheiden, welche Kleidung sie trägt", sagte Bülent Arinc im Gespräch mit dem STANDARD. Einige Länder hätten "negative Vorstellungen über die Kleiderwahl", meinte Arinc, der als zweiter Mann der regierenden konservativ-islamischen AKP nach Premier Erdogan gilt. Solange Verordnungen, die etwa das Tragen eines Kopftuchs untersagen, nicht auf "realistischen Grundlagen" stünden, könnten sie auch infrage gestellt und widerrufen werden.

Über ein Verbot des muslimischen Kopftuchs wird derzeit außer in Frankreich, Deutschland und Belgien auch in den Niederlanden diskutiert, wo das Parlament vergangenen Montag einen Sachverständigenbericht zur Frage der Integration ausländischer BürgerInnen erhielt. In der Türkei drängt die regierende AKP hingegen auf eine Liberalisierung des Kopftuchbanns, den der Hohe Universitätsrat, ein Gremium, das nicht an Weisungen des Premiers gebunden ist, verfügt hatte.

"Säkularer Rechtsstaat"

Die Feiern zum Jahrestag der Republiksgründung hatten AKP-Abgeordnete zuletzt wegen eines vom Staatschef ausgesprochenen Kopftuchverbots boykottiert. Arinc, der am Donnerstag einen mehrtägigen Wienbesuch beendete, betonte gleichwohl das Prinzip der Trennung von Staat und Religion: "Die Türkei ist ein demokratischer und säkularer Rechtsstaat." Religiöse Überzeugungen und geheiligte Grundsätze dürften nicht in das Alltagsleben hineinregieren, sagte er, "die gesetzgeberische Gewalt wird nicht von religiösen Regeln bestimmt". (Markus Bernath, D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 23.1. 2004)