"Textzeilen wie 'Nimm dieses Messer, schneide mir die Brust auf, und auf meinem Herzen wirst du deinen Namen eingeritzt finden!' dürfen nicht klingen, als würde der Frühling beginnen."

Foto: Universal
Als einer der wenigen Sänger verfügt er über einen Exklusivvertrag mit einem renommierten CD-Label. Dass Countertenor Andreas Scholl dies seiner delikaten Stimme zu verdanken hat, davon kann man sich am Freitag im Konzerthaus überzeugen. Eine Begegnung.


Wien - "Was? Wirklich? Ajajaj!" - Andreas Scholl ist ein wenig geschockt, und das ist kein Wunder. Es hatte sich offenbar bis zu ihm noch nicht durchgesprochen, dass sein CD-"Vorgesetzter", der Universal-Chef in Deutschland, der 38-jährige Tim Renner, seit einigen Tagen ohne Job ist. Da braucht der Countertenor dann doch ein paar Schweigesekunden und ein Schlückchen Kaffee.

"Es herrscht schon eine gewisse Panik in der Branche", meint Scholl, "ich hoffe, dass jene Leute, mit denen ich unmittelbar zusammenarbeite, noch eine Weile im Amt bleiben. Die Klassik ist ja an sich ein gutes Geschäft. Man muss halt anders rechnen, kann nicht sagen, 50.000 verkaufte Stück seien 'Peanuts'. Wenn ich es näher betrachte: Meine Produktionskosten betragen 6000 Euro - wenn ich dann 30.000 CDs verkaufe, ist das immer noch ein Geschäft. Kein Millionengeschäft, aber ein solides."

Scholls Spontanplan, soll- te auch ihm einmal das Schlimmste widerfahren: "Ich habe ein eigenes Tonstudio, bin Toningenieur, kenne mich aus, habe die Ausrüstung für Aufnahmen. Ich könnte in einem halben Jahr ein eigenes Label aufbauen und meine Sachen womöglich übers Internet vertreiben." Nicht nur deshalb muss man sich um Scholl keine Sorgen machen. Antizyklisch verlief bisher die Karriere des 35-Jährigen: Mitten in der Klassikkrise bekommt er einen Exklusivvertrag, geht von Harmonia Mundi zur Universal-Tochter Decca und gehört somit zu den Ausnahmen der Branche. Bei seinem Erstkonzert in der Londoner Wigmore Hall (1998) waren die Entscheidungsträger der Branche ziemlich vollständig vertreten.

Zu Recht. Im Fach dieser androgynen hohen Männerstimmen tätig, hat Scholl narkotisierende Lyrik zu bieten, der sich langsam, aber sicher - man höre seine neueste Aufnahme, Arkadia - auch eine der Textauslegung verpflichtete Kunst der dramatischen Darstellung hinzugesellt. "Die Versuchung ist für einen Countertenor groß, den Stücken das aufzuzwingen, was die Stimme am besten kann. Dafür gibt es ja auch ein Publikum. Ich möchte die Effekte allerdings bewusster einsetzen - der Komponist hat mir eine Aufgabe gestellt, die soll erfüllt werden."

Es gehe schlichtweg um reflektiertes Singen: "Ich will ins Detail gehen, will wissen, welchen Geschmack das einzelne Wort hat, welche Farbe. Textzeilen wie 'Nimm dieses Messer, schneide mir die Brust auf, und auf meinem Herzen wirst du deinen Namen eingeritzt finden!' dürfen nicht klingen, als würde gerade der Frühling beginnen."

Was mittlerweile global betört, war Scholl einst selbst womöglich auch nicht ganz geheuer. In der Pubertät rutschte seine Sprechstimme ins Baritonale, dennoch konnte er weiterhin Sopranpartien singen; die Flexibilität der Kopfstimme blieb ihm über den Stimmbruch erhalten. Das kam in Fachkreisen gut an, aber im Alltag? Als sich beim Bundesheer herumsprach, dass er Sänger ist, und es einmal bei einer Übung - Scholl lag im Schlamm - zu einer Inspektion kam, wurde er spontan aufgefordert, eine Kostprobe abzugeben.

(K)ein Gelächter

Scholl sah sich jedoch bemüßigt, darauf hinzuweisen, dass er eine sehr hohe Stimme habe, die womöglich für beträchtliches Gelächter sorgen würde. Nutzte nichts - es galt zu singen. Gelacht habe dann allerdings niemand.

Das exotische Flair der Countertenorstimme würde mittlerweile auch allgemein akzeptiert, denkt Scholl: "Man sieht Countertenöre mittlerweile einfach als Sänger. Natürlich, als ich in Malaysia auftrat, womöglich als erster Countertenor überhaupt, da gab es den einen oder anderen Lacher. War nicht angenehm."

Countertenöre gab es immer schon. Nur: Einst wurden sie von jenen bedauernswerten Künstlern in den Schatten gestellt, denen ein chirurgischer Eingriff zu einer hohen Stimme verhalf. "Mein nächstes Projekt widmet sich jenem Repertoire, dass einer von ihnen, Senesino, pflegte. Diese Sache mit den Kastraten gehört zu den düsteren Kapiteln der Geschichte. Aber unter ihnen gab es einfach große Sänger." (DER STANDARD, Printausgabe, 23.1.2004)