Ken Jacobs

Foto: Filmmuseum

Szene aus "Star Spangled to Death"

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Wien – Auch Filmemacher halten Reden zur Lage der Nation: Die von Ken Jacobs zum Beispiel dauert sechs Stunden und trägt den Titel Star Spangled to Death. Der Veteran der New Yorker Avantgarde liest in diesem Epos seinem aktuellen Präsidenten die Leviten, denn er fürchtet, dass die USA zu einer "patsy nation" werden, wenn sie den "moron" Bush nicht schnell loswerden.

Jacobs hat so lange an diesem Film gearbeitet, dass man ihn getrost als sein Lebenswerk betrachten kann und als eine Summe aus seinem avantgardistischen Filmschaffen, weil er Strategien aus Blonde Cobra (1959–63) und aus Tom, Tom, the Piper's Son (1969) verbindet.

Das strukturelle Interesse des jüngeren Films tritt in den Hintergrund und wird durch ausdrückliche politische Agitation ersetzt. Schon in den Fünfzigerjahren, als die Beatniks sich gerade formierten, entstanden die wesentlichen Aufnahmen, gedreht in den Hinterhöfen und auf den Straßen von New York. Wichtigster Darsteller war Jack Smith, seines Zeichens selbst Filmemacher (Flaming Creatures) und homosexueller Bohemien. Er spielt den Spirit not of Life but of Living. Ken Jacobs selbst tritt als Oscar Friendly auf und als Ringmaster.

Diese schwarz-weißen Szenen surrealer Imagination und theatralischer Extravaganz bilden das Grundgerüst von Star Spangled to Death. Der überwiegende Teil des Films besteht aus gefundenem oder besser: gesammeltem Material. Denn das Found Footage von Ken Jacobs entstammt ganz offensichtlich bestimmten Interessengebieten: Es sind viele "Featurettes" darunter, ein langer Bericht über eine Afrikareise neben wissenschaftlichen Sendungen über den Mutterinstinkt bei Affen, ein Promotionfilm für Nelson Rockefeller neben einer berühmten Ansprache des frühen Richard Nixon aus seinem Wohnzimmer.

Dazu kommen viele "Dance Follies" und Ausschnitte aus Hollywood-Filmen. Von dem afroamerikanischen Filmpionier Oscar Micheaux montiert Jacobs ganze Arbeiten in Star Spangled to Death, wie überhaupt die ethnischen Repräsentationsfragen eine wichtige – und problematische – Rolle spielen. Die Rekonstruktion einer Geschichte der Darstellung von "blackness" innerhalb und außerhalb des kanonischen US-Kinos macht aus Star Spangled to Death eine Art Archiv, das sich als Manifest missversteht.

Die historische Argumentation erfolgt häufig durch Inserts, in denen Jacobs sich zum Beispiel einer bestimmten Interpretation des Palästinakonflikts anschließt, die der amerikanischen Politik die Hauptschuld zuweist: "Israel is a crime perpetrated by Christians towards Jews and Arabs." Die Konservativen in der amerikanischen Politik attackiert Jacobs, indem er sie ausgiebig zeigt. Richard Nixon ist dabei die zentrale Gestalt, er ist jener Präsident, mit dem die Ideale des "New Deal" endgültig verloren gingen.

Star Spangled to Death erzählt im Prinzip eine Mythologie vom verlorenen Paradies. In den Fünfzigerjahren war die Avantgarde noch unbekümmert, erst später kam sie zu einem politischen Bewusstsein. Unglücklicherweise lässt Jacobs sich dabei von Positionen inspirieren, die nahe an einer spezifischen linken Paranoia liegen, wie sie zum Beispiel der jüdische Israelkritiker Norman Finkelstein vertritt. Insofern ist Star Spangled to Death George W. Bush ähnlicher, als es Jacobs lieb sein kann: Er hält Ideologien höher als die Vernunft. Am Freitag und Samstag präsentiert Ken Jacobs im Mumok eine seiner legendären "Shadowplay"-Performances. Am Sonntag, dem 25. Jänner, wird Star Spangled to Death im Österreichischen Filmmuseum gezeigt. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.1.2004)