Nicht durch den Zerfall der rot-schwarzen Koalition erfährt, wie irrtümlich angenommen, die österreichische Innenpolitik einen von den Journalisten zum Teil perfiderweise "Wende" genannten Umbruch - als könne der politische Wechsel in Österreich mit der berühmten "Wende" beim Fall der kommunistischen Mauer auch nur verglichen werden - sondern durch die Akzeptanz der Methoden der FPÖ, die unter Ausnutzung aller Freiräume und in beliebigem Wechselspiel der Standpunkte, durch Ausländer- und Künstlerhetze, Denunziation politisch missliebiger Personen und fragwürdiges Geschichtsverständnis ihre politische "Regierungsreife" in den Augen der ÖVP erhalten hat.

Diese zynische "Wende" ist das eigentliche Ereignis. Die FPÖ stehe unter Haider weitgehend für einen menschenverachtenden, machtgierigen und karrieregeilen Politikertyp mit Inkontinenzspuren, der hiermit salonfähig, das heißt regierungsfähig, gemacht wird.

Diese "Wende" bedeutet auch die Akzeptanz eines solchen Stils, die Akzeptanz eines solchen Gedankenguts, die Akzeptanz solcher Flecken von einem Drittel der österreichischen Bevölkerung und der christlich-sozial konservativen ÖVP.

Wer vor lauter Sachproblemen diesen Hintergrund der politischen Dämmerung in Österreich nicht sieht, ist -entweder politisch blind oder trägt Scheuklappen. Um diese braunsumpfigen Niederungen zu verlassen, sei ein Versuch unternommen, hoffnungsvoll in die mögliche Zukunft zu blicken. Wie wird es mit der Außenpolitik bestellt sein, wie mit der Innenpolitik? Welche Chancen, Lösungen, Ereignisse sind zu erwarten?

Man muss kein Prophet sein, um die zukünftige österreichische Außenpolitik voraussehen zu können. Sie wird in einem Standardsatz zu definieren sein, der von nun ab monoton wiederholt werden wird: "Österreich ist kein Naziland", wird die Endlosschleife in Kommentaren, politischen Statements und bei Gesprächen im Ausland lauten. Darin haben österreichische Politik seit der Ära Waldheim ja eine gewisse Übung und werden daher auch nicht überfordert sein.

Um international nicht vollständig isoliert zu sein, empfiehlt es sich allerdings für den Außenminister, rechtzeitig Kontakte mit sympathisierenden Schwesterparteien der FPÖ aufzunehmen: Front National, Lega Nord oder Alleanza Nazionale (AN), den italienischen Neofaschisten, die sich ja schon mit Grußadressen eingestellt haben.

Die künftige Innenpolitik wird ebenfalls rasch auf einen Nenner zu bringen sein. Es ist eine Mikroanalyse, die pauschal alle Probleme abdecken wird und sich daher ebenso für eine akustische Endlosschleife eignet wie der außenpolitische Standardsatz. Er lautet erwartungsgemäß: "Das ist das Ergebnis von 30 Jahren sozialistischer Regierungspolitik." Durch die beiden angeführten Sätze sind die österreichischen Stammtische hinkünftig bestens gerüstet: Mit einer minimalen Gedächtnisleistung und einem demokratisch niedrigen Aufwand an Intelligenz kann ab sofort jedermann auf demselben Niveau diskutieren wie die Regierungspolitiker.

Die wahre Politik aber werden weder ÖVP noch FPÖ machen, sondern die HIP (Gruß: HIP HIP hurra). Die Buchstaben stehen als Abkürzung für Haider-Image-Politik.

Die HIP wird ihre Politik österreichweit von Klagenfurt aus machen und hat zum Ziel, Haider das Bundeskanzleramt zu verschaffen.

Den ersten Schritt dafür macht der vermutlich vorläufige Bundeskanzler Schüssel zusammen mit seinem Außenminister. Sie stellen sich gegen die internationale "Schmutzkübelkampagne", während der damit Gemeinte sich zu Hause vergnüglich mit der Braunbären im Wald tummelt. Das längst vorbereitete strategische Konzept sieht als nächsten Schritt Haider als den wahren österreichischen Vergangenheitsbewältiger. Auftritte in Mauthausen und Kranzniederlegungen an Gedenkstätten von Widerstandkämpfern sind fix eingeplant.

Gleichzeitig wird Jörg Haider zum Liebhaber der modernen Kunst mutieren. Außer Claus Peymann, den Haider bereits zu seinem Lieblingsregisseur ernannt hat, wird er noch Thomas Bernhard und bald darauf Arnulf Rainer sowie Friedensreich Hundertwasser entdecken und diese zu Lieblingsautor und Lieblingsmalern erklären. Über bestimmte Künstler wird sich publicitywirksam ein Gießkannenregen ergießen - man soll sehen, dass Haider großzügig, tolerant und lernfähig ist.

Außerdem wird Haider die Rolle des Unbestechlichen annehmen. Von seinem Jägersitz im Bärental aus, wird der Kärntner Landeshauptmann immer wieder in gut inszenierten Dramoletten in die Bundespolitik eingreifen und von dort aus nicht nur die ÖVP sondern auch seine eigene Partei kritisieren. Haider wird mit einem Wort nicht nur in der Regierung sitzen, sondern gleichzeitig auch in der Opposition.

Außerdem wird er stetig am Thron des kleinen Prinzen in Wien sägen, bis der vorläufige Bundeskanzler herunterpurzeln und von seiner eigenen Familie zur Strafe zurück in das Kinderzimmer geschickt werden wird. An seine Stelle wird wieder einer der an seinen Vorschusslorbeeren später erstickenden Wunderwuzzis treten, die die ÖVP von Riegler bis Busek in petto hält. Nicht lange wird es allerdings dauern, bis auch diese purzeln wird - und dann, zum richtigen Zeitpunkt, kommt er, der Messias aus Goisern, ein echter Österreicher, energisch, schmähsicher, die Ikone eines modernen Provinzpolitikers, wie geschaffen für den provinziellen, autoritätsgläubigen und zugleich anarchistischen Österreicher, der sich in ihm und seinem Verfolgtsein schon lange repräsentiert sieht. Zur Freude der Bevölkerung werden sodann Polizei und Justiz "aufgewertet" werden, damit Wien nicht Chicago, Österreich nicht wie ein "ehemaliges Ostblockland" oder gar Istanbul wird.

Im sozialen Bereich wird das Münzen-in-die- Menge-Werfen aus seligen Kaiserzeiten wieder eingeführt werden. Jeder Minister, Landeshauptmann und der Bundeskanzler wird bei öffentlichen Auftritten silberne 25 Schillingmünzen aus dafür vorbereiteten Säcken (von hinkünftig "Säckelwart" genannten Finanzminister) in die versammelte Staatsbürgermenge werfen, was ein großes Gaudium und eine Riesenfreude bei den Glücklichen, die eine oder sogar mehrere Münzen erhaschen können, hervorrufen wird. Ob mit Kinderscheck oder Pensionsregelung wird ferner Salz in die Augen der Bevölkerung gestreut werden. Bis unter den dadurch herforgerufenen Tränen, die Welt in allen Regenbogenfarben leuchtet.

Wenn dieser Spuk dereinst vorbei sein wird, werden jene österreichischen Tages- und Wochenzeitungen, die ihn herbeigeschrieben habe, die Folgen dem Volk allein in die Schuhe schieben, oder eine Barriere des Schweigens errichten. Die Politiker aber, die ihn ermöglicht haben, werden mit dieser Großtat den gebührenden Platz in der traurigen Geschichte des Landes einnehmen.

Von Gerhard Roth soeben erschienen: der Roman "Der Berg"; der Autor lebt in Wien.