Die Taktik ist ein bisschen zu durchsichtig, um nicht durchschaut zu werden: Jetzt, vor mehreren wichtigen Wahlen, will die Koalition mit keinen unangenehmen Botschaften auffallen - und verschiebt die Debatte über die Rückzahlung des Kindergelds auf später. Jetzt bloß keine Eltern verunsichern, jetzt bloß nicht eines der Lieblingsbabys der Regierung, das Kindergeld, durch Diskussionen anpatzen.

Die Taktik kann aber vor allem die Widersprüche in der Koalition nicht überdecken: Natürlich muss Kindergeld zurückbezahlt werden, wenn die Zuverdienstgrenze überschritten wurde, sagt die ÖVP vom Bundeskanzler abwärts. Die FPÖ sagt das Gegenteil: Es wird keine Rückzahlungen von Kindergeld geben. Wer soll sich da noch auskennen - bei Zuständen, für die Chaos ein Hilfsausdruck ist?

Wenn es nach Sozialminister Herbert Haupt geht, wird das Chaos prolongiert: Er hat angewiesen, bis Jahresende die Überprüfung der Zuverdienstgrenzen auszusetzen. Das mag für die FPÖ ein politisch wichtiger Zeitgewinn sein - für die Betroffenen bedeutet es vor allem Rechtsunsicherheit: Eltern, die im Jahr 2002 Kindergeld bezogen haben, erfahren dann frühestens Ende 2004, ob sie das Kindergeld wieder zurückzahlen müssen oder nicht.

Und Eltern, die heuer Kindergeld beantragen, werden völlig im Unklaren gelassen, ob sie sich an die Zuverdienstgrenze von 14.600 Euro pro Jahr halten sollen - oder ob ein Nichtbefolgen ohnehin keine Konsequenzen hat. Also diejenigen die Dummen sind, die sich penibel an Gesetze halten. Weil zwar normale Staatsbürger Gesetze befolgen sollen - die Regierung hingegen Gesetze beschließt, sich aber nicht daran hält.

Jede/r DienstgeberIn, jede Mutter und jeder Vater könnten Klagelieder darüber singen, wie kompliziert die Regelungen der Zuverdienstgrenze sind. Eine Änderung der Grenze wäre also eine Erleichterung - eine völlige Aufhebung, wie die FPÖ das anstrebt, hingegen fragwürdig. Wenn es völlig egal ist, ob und wie viel zum Kindergeld dazuverdient wird, würde zwar die Zahl der Kindergeld-Väter von kümmerlichen zwei Prozent schlagartig ansteigen - weil sich keiner das halbe Jahr Kindergeld entgehen lassen wird, wenn er ohnehin daneben Vollzeit arbeiten kann. Aber erstens würde damit das ohnehin 1,2 Milliarden Euro teure Kindergeld noch einmal um 250 Millionen teurer werden, und zweitens hätte das mit sozialer Treffsicherheit gar nichts mehr zu tun.

Ob das der Regierung ein Anliegen ist, kann zwar angesichts ihrer Sozialgesetze angezweifelt werden. Auf jeden Fall hat sie mit dem Kindergeld bisher ihr laut propagiertes Hauptziel weit verfehlt: jenes, die Geburtenrate zu heben - die ist nämlich im Vorjahr gesunken.

Außer der schwarz-blauen Regierung kann das eigentlich niemand überraschen. Länder wie Frankreich oder Schweden exerzieren es seit Jahren vor, alle ExpertInnen predigen es landauf, landab: Nur wenn Beruf und Familie miteinander vereinbar sind, entscheiden sich Frauen und Männer für ein Kind - oder für mehr als ein Kind. In Frankreich oder Schweden gibt es dichte Netze von Babykrippen, Kindergärten und Ganztagsschulen - und einen Geburtenboom. In Österreich fehlen 90.000 Kinderbetreuungsplätze, Kindergartenplätze für Kinder unter drei gibt es außerhalb Wiens kaum, von Ganztagsschulen ganz zu schweigen - und die Geburtenraten sinken, jede dritte gut ausgebildete Frau bleibt überhaupt kinderlos.

Die Zusammenhänge sind so klar, dass man schon auf beiden Augen ideologisch blind sein muss, um sie nicht sehen zu wollen: Das Kindergeld ist zwar ein wirksamer Beitrag zur Armutsvermeidung, vor allem für Schlechtverdienende - am Problem der Vereinbarkeit ändert es aber gar nichts, schon gar nicht für Eltern über Dreijähriger. Kindergärten? Die Regierung jammert lieber über die Partygeneration - und unterstützt AlleinverdienerInnen mit Steuererleichterungen. Und streitet darüber, ob sie sich an ihre eigenen Gesetze hält - oder nicht. (DER STANDARD, Printausgabe 21.01.2004)