Foto: Stadtkino
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"Crimson Gold", der jüngste Spielfilm des iranischen Regisseurs Jafar Panahi, erzählt auf unspektakuläre und dabei umso wirkungsvollere Weise vom Alltag und vom vergeblichen Aufbegehren eines "kleinen Mannes" in der Millionenstadt Teheran.

Wien – Die Filme des iranischen Regisseurs Jafar Panahi gehen stets von alltäglichen Begebenheiten aus. Der erzählerische Aufbau ist scheinbar ganz einfach, basiert auf wenigen Komponenten: den Protagonisten und ihren Bewegungen in einem gegebenen Raum, in der Zeit und unter bestimmten sozialen Rahmenbedingungen.

Aus dabei auftretenden Konflikten mit gesellschaftlichen Regeln (oder auch nur mit einem Zeitplan) entwickelt Panahi in der Folge ungewöhnlich fesselnde Geschichten: jene vom hartnäckigen kleinen Mädchen auf der Suche nach einem verlorenen Geldschein etwa (Der weiße Ballon, 1995, wie Crimson Gold nach einem Drehbuch von Abbas Kiarostami entstanden). Oder zuletzt das episodische Drama Der Kreis (2000), das den engen Handlungsspielraum iranischer Frauen, zumal in der Öffentlichkeit, thematisierte.

In Crimson Gold / Talaye sorgh, Panahis jüngstem Spielfilm, steht nach den Fußgängerinnen der früheren Arbeiten nun ein motorisierter Mann im Mittelpunkt. Der Mann heißt Hossein (Hossein Emadeddin), und seine Fahrten durch Teheran sind einem Arbeitszusammenhang geschuldet: Hossein ist Pizzabote. Abends schnallt er die Lieferantenbox auf sein Moped und tritt seine Fahrten durch die Megacity an.

Panahi zeichnet auf diese Weise zum einen ganz beiläufig ein Bild von Teheran (und dem Iran), das nicht dem üblicherweise übermittelten entspricht. Neben den räumlichen Verhältnissen – den Fahrten durch und dem Panoramablick auf die Stadt mit den rund zwölf Millionen Einwohnern – werden im Zuge von Hosseins Tätigkeit zum anderen schnell auch soziale Verhältnisse (und Unverhältnismäßigkeiten) ins Bild gerückt.

Klassenschranken

Die Türschwellen, an denen Hossein seine Lieferungen abgibt, entsprechen Klassenschranken. Sie markieren außerdem eine entscheidende Differenz von Außen- und Innenräumen, die sich dem Helden (und mehr noch dem Publikum) in drei Episoden nach und nach erschließt:

In der ersten begegnet Hossein einem ehemaligen Kriegskameraden, der ihm, offensichtlich peinlich berührt, den Blick in seine Wohnung verstellt. Die zweite spielt sich vor einem Gebäude ab, wo Revolutionswächter den Besucherinnen und Besuchern einer privaten Party auflauern, die deutlich hörbar, aber dem direkten Zugriff der Exekutive entzogen, im Haus stattfindet.

Schauplatz der letzten ist das Luxus-Penthouse eines aus den USA zurückgekehrten Exiliraners, der den Pizzaboten als Zuhörer einspannt. Während der Mann ein langwieriges Telefonat führt, beginnt Hossein, einem Schlafwandler gleich, durch die weitläufige Wohnung zu schlendern – ob der Alkohol oder der Anblick seinen somnambulen Zustand verursachen, ist nicht festzustellen.

Gerahmt und unterbrochen werden diese episodischen Beobachtungen aus dem Teheraner Alltag vom individuellen Drama Hosseins: Von einem Nobeljuwelier als Kunde abgewiesen, fasst Panahis stoischer Held schließlich einen folgenschweren Plan. Dessen Ende erzählt Crimson Gold gleich zu Beginn – auch ein ganz einfacher Kunstgriff mit nicht zu unterschätzender Wirkung. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2004)