Ein großer Teil der institutionellen Investoren und auch der Privatanleger hat die überraschende weltweite Aktienrallye 2003 versäumt.

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Ein großer Teil der institutionellen Investoren und auch der Privatanleger hat die überraschende weltweite Aktienrally 2003 versäumt. Entweder weil die Aktienquote nach dem Crash weiter gering gehalten wurde oder weil die Verluste so tief waren, dass allein der Gedanke an "Aktien kaufen" schmerzt.

Jetzt kommt zur Reue über das Versäumte die Angst des Zuspätkommens: Sind die Märkte schon wieder zu teuer geworden? Droht also ein Ruck nach unten? Sind sie fair bewertet? Oder noch günstig und bergen damit Potenzial, das den Einstieg jetzt lohnt?

Auf den ersten Blick ist der große US-Index S&P 500 derzeit mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von fast 25 teuer. Denn im 50-jährigen Durchschnitt betrug das KGV nur rund 17, im 25-jährigen Durchschnitt nur rund 19. Setzt man das gegenwärtige KGV aber in Relation zu den historisch niedrigen Zinsen (ein Prozent Leitzins USA), dann ist der Aktienmarkt noch günstig.

Das Modell der Fed

Laut Modell der US-Notenbank Fed, das die Bewertung der Aktien an der großen Alternative Anleihen (zehnjährige Staatsbonds) vornimmt, ist das die Conclusio. Der faire Wert des S&P ist demnach gleich den in den kommenden zwölf Monaten erwarteten Gewinnen je Aktie durch die Rendite der zehnjährigen Staatsbonds. Diese Rechnung ergibt derzeit rund 1400 Punkte im S&P 500 und somit fast 300 Punkte Potenzial hinauf zu seiner fairen Bewertung.

Horst Simbürger, Fondsmanager in der Volksbanken KAG, glaubt in jedem Fall, dass der Markt "extrem sensibel für kleine Verschlechterungen bei den Gewinnprognosen" ist. Er zitiert als umgekehrtes Beispiel die Kursexplosion bei Nokia, die als Folge von verbesserten Gewinnaussichten am Donnerstag der Vorwoche um 15 Prozent gestiegen war.

Gewinnüberraschungen

"Erwartete positive Gewinnüberraschungen werden zunächst noch Kursanstiege ermöglichen", heißt es dazu im Raiffeisen Research Team. Da sich im Jahresverlauf allerdings steigende Gewinnerwartungen mit nachziehend immer höheren Vergleichsbasen treffen, dürften Bewertungsfragen dann stärker in den Vordergrund rücken, sprich: Der Blick auf die KGV wird ängstlicher machen.

Dazu trägt der parallel erwartete Renditeanstieg im Rentenmarkt - verursacht wiederum durch den Geldzufluss bei den Aktien - dazu bei, die Aktien teurer erscheinen zu lassen. Steigen die US-Renditen um ein Prozent auf über fünf Prozent, dann senkt das in den Rechenmodellen der Portfoliomanager gleich wieder den fairen Wert des S&P 500.

Für Europa sehen die Bewertungsmodelle derzeit insgesamt noch günstiger aus als für die US-Börsen. Unterstellt wird dabei ein Gewinnwachstum von gut über 20 Prozent bei den Börsennotierten. Das sollte eigentlich bedeuten, dass die Europa-Börsen noch mehr Potenzial bieten - dies auch, weil die großen Investoren auf dem Kontinent erst jetzt ihre Aktienquoten wieder erhöhen und noch nicht voll investiert sind.

Allerdings: Auf die Europa-Aktien lauern auch viele Gefahren. Dazu gehört eine weiter rasante Abwertung des Dollar und damit ein noch viel teurerer Euro, der die Gewinne der exportorientierten Europäer schmälert. Und eine baldige Zinserhöhung der Amerikaner, denen die Konjunktur davonläuft. Die Erwartung von 4,5 Prozent Wirtschaftswachstum 2004 verträgt sich wohl nicht mehr mit real negativen Zinsen.

Ein Fazit

Bleibt als Schlussfolgerung für die ersten Monate des Jahres in Europa: Die Bewertungen bieten Potenzial, das Cash ist da, Institutionelle bauen ihre Positionen aus - die Aktien sollten allen Berechnungen zufolge steigen. Das gilt zunächst auch für die US-Börsen. Zumindest so lange, bis Gewinnerwartungen nicht erfüllt werden und der Zinsschritt spürbar wird. Neue Terroranschläge und andere geopolitische Unwägbarkeiten nicht einkalkuliert.(Karin Bauer, Der Standard, Printausgabe, 12.01.2004)