Tee oder Kaffee, Mercedes oder BMW, Mallorca oder Antalya, Braun oder Philips, Beatles oder Rolling Stones, Boss oder Windsor, HB oder Marlboro, Chanel oder Yves Saint Laurent, Sekt oder Selters - das ganze Leben ist ein Multiple-Choice-Test, und wir sind nur die Konsumenten. Um den allgegenwärtigen Fragebogen des Warenerwerbslebens durchzustehen, halten wir uns an Entscheidungen, die irgendwann gefällt worden sind und daher keinen Stress mehr bereiten. Halbbewusst und routiniert vollziehen wir sie täglich nach, wie eine interne Kennung, eine genetische Prägung - als hätten Werbung und Wohlstand uns zusätzliche Chromosome in den Code geschmuggelt. Vom Frühstück bis zum Schlummertrunk, von Aronal bis Elmex spult man sein Konsumentenleben ab, als treffe man einen alten Bekannten nach dem anderen, ohne viel mit ihnen reden zu müssen, weil man sich ohnehin ständig sieht. Markentreue bedeutet für den Konsumenten auch, sich die Arbeit zu sparen, unter der Manager am meisten stöhnen, nämlich dauernd Entscheidungen fällen zu müssen.

Mit traumwandlerischer Sicherheit streifen wir daher durch die Regallandschaften der Innenstädte und Stadtrandmärkte, um das Gewohnte zu ersetzen, wenn es verbraucht ist. Solange die Ordnung in diesen Regalen die gleiche bleibt, fühlen wir uns selbst in den kühlsten Containerlandschaften beheimatet. Erst wenn in den Regalen gründlich umgeräumt wurde, kann es bei ungefestigten Naturen zu jener existenziellen Orientierungskrise kommen, wie Burkhard Spinnen sie in seinem Roman Langer Samstag (€ 21,10, Schöffling) beschrieben hat.

Konsum ist Arbeit, eine unbezahlte zwar, aber eine bisweilen durchaus anstrengende. Sie besteht in der Qual der Wahl, die ein ausgereiftes Wunschmanagement erfordert, und der mühsamen Zügelung der allseits provozierten Gier, aber auch in den Begleiterscheinungen und seelischen Folgekosten des Shoppings, das vielleicht zu Unrecht zu den größeren Vergnügungen der Gegenwart gezählt wird. Selbst unverdächtige Vertreter der Marktwirtschaft bestätigen den Befund, wie das Zitat aus dem Katalog eines Schuhversandhändlers belegt: "Noch nie war Ihr Schuhkauf so komfortabel: Sie setzen keinen Fuß vor die Tür. Sie stehen nicht im Regen, im Stau oder in der Schlange. Sie ärgern sich über keine Verkäuferin und verlieren weder Zeit noch Nerven."

In dieser verdienstvollen Charakterisierung sind zahlreiche Aspekte der Konsumarbeit auf kleinstem Raum versammelt, und ein nicht unbeträchtlicher Aufwand besteht in der Tat in der Kommunikation mit den Verkaufsagenten. Sind sie freundlich und entgegenkommend, geraten sie leicht in den Verdacht verkaufsfördernder Scheinheiligkeit, wenn nicht sogar der Lüge, vor der man sich hüten muss. Wem hat der Satz "Das sitzt ausgezeichnet, Sie sind doch so schlank!" oder "Das fällt auch hinten ganz hervorragend!" nicht noch böse im Ohr nachgeklungen, wenn sich nach wenigen Tagen herausstellte, dass der Mantel doch zu schmal und die Hose zu knapp gekauft wurde? Und wer glaubt der Beteuerung "Das steht Ihnen ganz ausgezeichnet und passt zu Ihrem Typ" noch, wenn wenige Wochen nach dem Kauf der gleiche Anzug um die Hälfte herabgesetzt im Schaufenster hängt, weil er anders nicht loszuschlagen war?

Gerade im Winter ist es freilich ein heimisches Vergnügen, in den Katalogen besagter Versandhändler zu blättern, in denen das Paradies der schönen Dinge in Text und Bild vor uns ausgebreitet wird. Aber kaum hat man sich den einen eingehandelt, steht man auf den Listen von Adressenhändlern, die für weitere Zusendungen sorgen, sodass der Postbote schließlich halbjährlich zehn oder mehr verschiedene Botschaften des Glücks in den Kasten steckt, die gelesen und entsorgt werden wollen. Für wie viele Menschen mögen diese Broschüren inzwischen die schöne Literatur ersetzen, weil sie die gleiche fiktionale Befriedigung hervorrufen? Wie viele Hochglanzkataloge liegen, mit zahlreichen Eselsohren durchsetzt, monatelang wie ein vielversprechendes Buch herum, das man dann doch nicht zu Ende gelesen hat, weil ihm erst der Einkauf das Happyend liefern würde?

Darüber wird das Window-Shopping aber wohl kaum seinen Reiz verlieren. Wer hat nicht schon die Erfahrung gemacht, wie beruhigend es sich gerade auf das Eheleben auswirkt, vor allem dann, wenn die Geschäfte geschlossen sind? Erlaubt es doch einen gemeinsamen Blick auf die Dinge, was im Zusammenleben der Menschen ansonsten selten genug ist. Und erst die gemeinsame Konsumtour mit anschließendem Cafébesuch nach der vorsätzlich ergebnislosen Beschäftigung von Verkäufern, als deren Arbeitgeber man sich aufspielen durfte! Denn natürlich ärgert man sich nicht nur über unaufmerksame oder maulfaule Verkäufer, sondern zieht diese auch gern in Verkaufsspiele, deren Nullergebnis von vornherein feststeht - als wolle man, lange nach dem Ende der Kindheit, noch einmal "Kaufladen" spielen, jenes Konsumvorbereitungsspiel, das in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in den Kinderzimmern noch ein hohes Ansehen besaß und dessen ältere Verwandten aus dem 19. Jahrhundert in jedem besseren Heimatmuseum gleich neben den Puppenhäusern stehen.

Doch der reale Kaufakt, der sonst Spaß macht, etwa der lange erwogene Erwerb einer neuen Brille oder eines neuen Mantels, also der Solitärkauf, kann zur Tortur werden, wenn nämlich die Zeit drängt, weil man eine verlorene Brille sofort ersetzen muss und den irgendwo verschlampten Mantel wegen des Wetters nicht entbehren kann. Die Erfahrungen, die man dabei macht, sind ernüchternd: Das Modell, an das man sich gewöhnt hatte, das gar, nach jahrelangen Kompromissen, endlich einmal beglückend exakt den eigenen Vorstellungen entsprochen hatte - es ist natürlich nicht mehr erhältlich. Der Brillenhersteller ist auf andere Gedanken gekommen; der Mantelkonfektionär, den man im Verdacht hatte, lauter zeitlose Klassiker zu produzieren, erweist sich dann doch von der inszenierten Unruhe der Mode angesteckt, und die traditionsbewusste Manufaktur hält genau den Schuh nicht mehr vorrätig, den man vor Jahren unter ihren Standardmodellen dankbar herausgefischt hatte - von Hemden, Möbeln und anderen Lebensabschnittspartnern aus Holz, Metall und Stoff erst gar nicht zu reden.

Man bekommt niemals wieder, was man verloren hat, entweder weil die Saison gerade vorbei ist oder der Hersteller den Besitzer oder den Designer gewechselt hat, und so sucht man mit wachsender Erbitterung schließlich vergebens nach dem Gewohnten. Von leicht genervten Verkäufern wie von verständnisvollen Ärzten betreut, beugt man sich dann dem ureigenen Gesetz der Konsumgesellschaft, demzufolge das Neue verkauft werden muss, weil das Alte eben schon weg ist. Ein Konsument darf nicht konservativ sein, sonst hat er noch mehr Arbeit. Eine einmal eingeschlagene Konsumlinie mit als optimal erkannten und möglicherweise sogar geliebten Dingen kann nur durchhalten, wer sich Maßanfertigungen zu leisten vermag.

Denn selbst bei den selten gewordenen Produkten, deren Marken noch zu Recht als Zeichen von Zuverlässigkeit gelten können und die dementsprechend teuer sind, halten sich die Produktreihen an den Wechsel des Geschmacks, den der Konsument dann für seinen eigenen halten soll. Sogar Kaffee- und Teesorten meint man über die Zeit hinweg nicht nur die jahreszeitlichen Schwankungen anzumerken, sondern auch solche der Mischung. Nur wenige Standardgüter - der Füller, das Parfum - erfüllen noch Erwartungen nach einer gewissen Beständigkeit. Diese ist besonders wertvoll, bietet sie doch einen doppelten Komfort: Man spart die Zeit, die sonst in die Produktauskundschaftung gesteckt werden müsste, und der identische Ersatz lässt die Zeit vergessen, die mit dem Verschleiß der Vorgänger vergangen ist. Nur die sich gleich bleibenden Güter ruhen im stillen Auge eines Zeitlupen-Orkans, der alle anderen Güter zentrifugal verschleudert und Mode heißt, die moderne Furie des Verschwindens.

Ist das gewohnte Modell nicht aufzutreiben, beginnt der typisch moderne Stress des Notkonsumenten, der Entscheidungsdruck einer Festlegung für Monate und Jahre, in denen man es mit den anstehenden Dingen wird aushalten müssen, ohne sie vorher richtig kennen gelernt zu haben. Die erste Adrenalinwoge verschafft der Stress der Informationsbeschaffung, die langen Wege durch Einkaufszonen und das Blättern in Katalogen, die unaufrichtigen Beratungsgespräche, die ratlosen Blicke in die all-fälligen Spiegel oder die gereizten Ehedialoge unter Verkäuferaufsicht, die sich nur in Loriots Versionen lustig ausnehmen.

Ist dieser Stress überstanden, herrscht immer noch keine Ruhe an der Front von Mensch und Ding, weil beim Gebrauch noch lange infrage steht, ob die Modellentscheidung richtig und der Preis gerechtfertigt war und Haltbarkeit sich wirklich einstellt. Im ungünstigen Fall erfüllt sich der anfangs leicht aufkeimende Verdacht, einen Fehlkauf gemacht zu haben. Fehlkäufe stiften die unangenehmsten Kapitel jeder Konsumodyssee, weil sie die Seele noch lange nach dem Kauf nicht wieder freigeben. Der Konsum ist ein Modellfall des Trial-and-Error-Verfahrens, ein experimenteller Umgang mit der Welt, dessen Risiko nicht der Anbieter, sondern der Verbraucher trägt.

Die eindringlichsten Konsumerfahrungen macht man freilich an Lebensschwellen, die man wie in einer profanen Initiation passiert. Das beste Beispiel ist hierfür vielleicht das junge Paar, das den rituellen Kauf von Polstergarnituren, Medienmöbeln und Autos schon hinter sich gebracht hat, nun aber auf die anstehende Geburt des ersten Kindes wartet. Das gewohnte Konsumglück solcher beneidenswerten Doppelverdiener endet ja in dem Moment, in dem sie etwas Wunderbares erwerben, das man nirgendwo kaufen kann, nämlich selbst gemachte Kinder. Das Budget für den eigenen Konsum wird nun empfindlich geschmälert, und plötzlich sind mehr und andere Dinge zu kaufen, die den zahlenden Eltern nur noch ein begrenztes Konsumglück versprechen - Windeln und Ohrentropfen zum Beispiel, Fäustlinge und Sauggeräte, später dann noch die ganze aggressiv vermarktete Palette kinderspezifischer Güter wie Sticker oder Pokémons, von den Süßigkeiten an der Supermarktkasse und den Kuschelbären in Kinderaugenhöhe - und vor allem: Kindergreifhöhe - ganz zu schweigen.

Wer kennt nicht die junge, hochschwangere Frau, die bei Ikea an den Grenzen ihrer Geduld und olfaktorischen Belastbarkeit ebenso blass wie resolut mit dem geistesabwesenden Kindsvater Details von Kletterstühlchen, Wickelkommoden und Kinderbettchen diskutiert, als gelte es, einen transatlantischen Umzug vorzubereiten? Die nervzehrende Überschreitung dieser Konsumschwelle steht in eigenartigem Kontrast zu dem freudigen Ereignis, auf das man und frau sich dabei konsumarisch einpendeln: Schon bevor der Konsument geboren ist, macht er Arbeit!

In einer solchen Situation erkennt man im Extremfall eine dem Konsum generell eigene, aber weithin unbedachte Qualität, die man als rituelle Selbsterschöpfung bezeichnen könnte. Wie sich einst unsere Mütter beim Backen und Kochen vor Familienfesten so verausgabten, dass sie am ersehnten Tag durch Migräne und andere Stressfolgen konsumarisch außer Gefecht gesetzt waren; wie die Väter im Weihnachtsbasteln ihre sonst als mangelhaft diagnostizierte Fürsorge für die Kinder unter Beweis stellten oder sich in Überstunden abrackerten, so stellt man heute in den Einkaufsorgien des guten Willens eine rituelle Selbsterschöpfung unter Beweis, die psychologisch für die Versorgung des Nächsten offenbar ebenso wichtig ist wie die schließlich kostenlos dargebotenen Güter.

Resümiert man diese Erfahrungen, bleibt nur die Erkenntnis, dass der Kunde längst das Opfer einer Revolution geworden ist, die der großen Französischen in nichts nachsteht: Er ist nicht mehr der sprichwörtliche König, sondern Preisforscher, Modellkundler, Testperson, Lügendetektor, Werbeagent, Gepäckträger und Held der Arbeit in einer Person. Vor den Konsum haben die Götter eben die Arbeit gesetzt und König Kunde dabei rigoros proletarisiert.

Nichts wird daher, wie Boris Groys schon vor Jahren erkannte, in der Konsumgesellschaft so begeistert konsumiert wie Konsumkritik. Sie belastet den Konsumenten allerdings wieder mit Arbeit, und zwar der härtesten, die er kennt, nämlich seinen Konsum auch noch zu legitimieren. Das ist besonders perfide, weil jeder weiß, dass das nicht geht. Die Konsumgesellschaft funktioniert zwar prächtig, aber niemand kann diesen Zustand so recht verteidigen. Alle haben vielmehr ein schlechtes Gewissen, sobald sie anfangen, darüber nachzudenken, was ein eher seltener Vorgang ist, weil er sich nicht konsumieren lässt, sondern nur produktiv sein kann. Doch nehmen die Gelegenheiten zu solchen Reflexionen zu, vor allem seit die Mülltrennung eingeführt worden ist, deren genau geregelten Entsorgungsvorschriften beim Keller- oder Garagenaufräumen eine solche Feinarbeit verlangen, dass der entnervte Konsument sich öfter als zuvor fragt, warum er sich zuvor überhaupt die des Einkaufens gemacht hat. (DER STANDARD, ALBUM, Printausgabe vom 10./11.1.2004)

Walter Grasskamp ist Kunstkritiker und Professor für Kunstgeschichte an der Akademie der Bildenden Künste in München. Zuletzt erschien von ihm im C. H. Beck-Verlag der Band "Ist die Moderne eine Epoche? Kunst als Modell" (€ 13,50/ 176 Seiten), und im April erscheint bei Wagenbach "Das Cover von Sgt. Pepper. Eine Momentaufnahme der Popkultur".