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Kinnie, das ist nicht nur irgendeine Limonade aus Pomeranzenschalen und Kräuteressenzen. Kinnie, das ist die etwas klebrige Materialisierung des Malteser "Sonderweges". Natürlich wird auf der zwischen Nordafrika und Europa gelegenen Inselgruppe auch Coca Cola getrunken, aber Favorit ist das bräunlich perlende Nationalgetränk. Auch was das Essen betrifft, beweisen die Malteser einen sehr eigenwilligen Geschmack, der sich - wie der starke Drang zum Reihenhaus - aus der britischen Kolonialzeit herleiten lässt.

Denn nachdem seit 1530 der Johanniterorden mehr als zwei Jahrhunderte lang auf der Insel sein geweihräuchertes Regiment geführt hatte, übernahmen 1800 die Briten die Herrschaft. Erst 1964 wurde Malta unabhängig. Im Mai 2004 wird es sein multikulturelles, auch von arabischen Einflüssen geprägtes Erbe in die EU einbringen. Schon jetzt bringt sich umgekehrt Europa in Gestalt von meist englischen, sonst vorwiegend deutschen Besuchern auf Malta ein. Mehr als eine Million Touristen kommen jährlich auf die Hauptinsel Malta, nach Gozo und Comino. Das sind immerhin rund dreimal so viele Personen wie die ständigen Bewohner.

Man kann also getrost behaupten, dass die wichtigste Einnahmequelle Maltas der Tourismus ist. Und der sieht dann zum Beispiel so aus: Durch die engen Gässchen der Hauptstadt Valetta - sie wurde ab 1566 nach der großen Türkenbelagerung Maltas vom Ordensgroßmeister Jean de la Valette und Francisco Laparelli di Cortona am Reißbrett entworfen - schieben sich sommers wie winters hunderte Kreuzfahrttouristen beim Landgang. In der Marktstraße, direkt am Großmeisterpalast, können sie sich praktischerweise gleich mit Souvenirs eindecken. T-Shirts, CDs, die obligaten gelben Maltabusse en miniature, aber auch Heiligenbildchen sind die Renner.

Überhaupt spielen die Heiligen eine wichtige Rolle auf Malta. Lange waren in Valetta alle Straßen nach ihnen benannt, nur 1798, im Jahr des napoleonischen Intermezzos, wurde die Hauptstraße in "Rue Nationale" umbenannt. Ein bedauerlich profaner Irrtum, den die noch heute geschlossen katholische Bevölkerung (94 Prozent sind katholisch und rund 64 Prozent geben an, täglich in die Kirche zu gehen) umgehend richtig zu stellen wusste. - Kein Wunder, dass es in der St. John's Co-Kathedrale, einst Ordenskirche der Johanniter, abgesehen von den Gottesdiensten bereits eine Art Einbahnregelung für Besucher gibt.

Weitaus gemütlicher geht es ein paar Gassen weiter im Teatru Manoel zu. 1732 war das Theater vom Großmeister Antonio de Vilhena der Malteser Bevölkerung geschenkt worden, "um die rechtschaffene Freizeitgestaltung der Bürger zu fördern". Diese nahmen das Angebot rechtschaffen wahr, noch 1859 prosperierte die Institution derart, dass die Theaterprogramme auf Seide gedruckt wurden. 1866 wurde ein neues, wesentlich größeres Opernhaus errichtet. Als die "Royal Opera" 1873 durch einen Brand völlig zerstört wurde, erlebte das Teatru Manoel eine kurze Renaissance.

Heute sitzt Impresario Tony Cassar Darien in seinem Büro zwischen Bänden aus "Maltas Garnison Officers Library" und Bachkantaten von Breitkopf & Härtel /Leipzig. Die hölzernen Fensterläden des Büros sind halb geschlossen, um das grelle Novemberlicht abzuhalten. Eine "direct line to heaven" habe er notwendig, erzählt der weißhaarige Künstler, um Maltas Nationaltheater am Laufen zu halten. Über 600 Sitzplätze verfügt das charmante Barocktheater, 600 Plätze, die mit knapp 12.000 Bürgern aus Valetta schwer jeden Abend aufs Neue zu füllen sind. Also sollen jetzt Starauftritte wie von Irina Simon vom bayrischen Sinfonieorchester oder der Sopranistin Miriam Gauci das Mehrspartenhaus auch mit Touristen füllen.

Die Malteser Jugend vergnügt sich derweil ein paar Kilometer weiter in St. Julian's. Während in Valetta nämlich nach wie vor um circa 21.30 Uhr die Gehsteige hochgeklappt werden, geht man in dem hippen Ausgehviertel rund um die Hotelburgen um diese Zeit gerade von Kinnie zu den ersten Bieren über. Dazu gibt's ganz europäisch Karaoke. (Der Standard/rondo/9/1/2004)