Foto: Quelle
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Die Modells von Quelle umweht der Hauch von Emanzipation, ohne dass die Herren mit feministischen Attacken verschreckt würden. Unsere Covers stammen aus 1963 und 1973, Claudia Schiffer samt Caspar ziert den aktuellsten Katalog

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Die Damen, die seit Jahrzehnten vom Cover der Quelle-Kataloge blicken, sind Einzelgängerinnen. Nur manchmal, vor allem in den Sechzigern, verirrte sich eine Freundin mit aufs Bild, sie trug dann meistens ebenfalls Haube oder Hut und blickte genauso angestrengt locker wie ihre Bild-Nachbarin. Doch meistens blieb die taillierte Schöne für sich allein, gekleidet in den Farben und Schnitten der Saison, hineingezwängt in ein Kostüm, dem im Blick zurück etwas leicht Zwanghaftes anhaftet - zur Zeit des Erscheinens des Katalogs aber der massenkompatible letzte Schrei war.

Die Katalogbücher aus dem Nürnberger Hause Quelle, diese Ziegelsteine des Konsums, sind Dokumente ihrer Zeit oder, wie dies Hans Magnus Enzensberger einmal ausdrückte, sie sind "die letzte historische Variante der Enzyklopädie". Das gilt auch heute noch (seitdem Quelle sogar Autos verkauft erst recht), wenngleich Enzyklopädien mittlerweile etwas Anachronistisches anhaftet, der Glaube, eine Welt zur Gänze erfassen zu können. Mit dieser Rolle dürfte der Quelle-Katalog allerdings keine Schwierigkeiten haben: Er fiel schon immer ein bisschen aus seiner Zeit, wenngleich er es sich zur Aufgabe gemacht hat, gerade sie zu repräsentieren. Das ist gleichermaßen seine Bürde und sein Faszinosum.

Biedersinn und Beständigkeit auf der einen Seite und Mut und Modernität auf der anderen: Die Geschichten, die die Models auf den Quelle-Katalog-Covers erzählen, waren und sind geeignet, bei Millionen von Konsumenten (bereits 1936 erreichte die Kundenzahl der Quelle erstmals die Millionengrenze) auf Zustimmung zu stoßen. Nach dem Krieg erzählten sie vom Wiederaufbau und vom Wirtschaftswunder und natürlich immer und immer wieder von modernen Frauen, den Hauptkundinnen von Quelle, jener Kundschaft, die den Mut fassen sollte, beim Versand zu bestellen. Ein emanzipierter Touch umwehte die oft in Karo gewandeten Damen, ohne dabei natürlich die Herrenwelt mit irgendwelchen zu direkten feministischen Attacken zu verschrecken. Diese ihrerseits durfte erst relativ spät ihre Aufwartung auf dem Titelblatt machen und dann meist auch nur in Kombination mit dem Nachwuchs. Erst Anfang der Neunziger etwa zelebrierte man bei Quelle die Kleinfamilie. Es war die Ein-Kind-Variante.

Mittlerweile, ein Jahrzehnte später ist die Kleinfamilie bei Quelle gar zur Rumpffamilie geschrumpft, die Mutter-Kind-Variante ziert auf dem dieser Tage ausgelieferten Frühjahr / Sommer Katalog die Titelseite. Als "schönste Mama der Welt" rühmt man bei Quelle Claudia Schiffer, die darauf mit wallendem Haar ihren elfmonatigen Sohn Caspar fest umschlungen hält. Das Thema Mutterschaft, dieser derzeit auf- und abdeklinierte "Trend", ist nun also auch bei Quelle angekommen - etwas später als anderswo. Der Weg in den Katalog ist eben etwas länger.

Im Kataloginneren tut man sich mit der zum Thema dazugehörigen Mode dann allerdings schon etwas schwerer. Erst ab Seite 456 finden sich Baby- und Umstandsmode, und auf Seite 476 ist das Babythema dann auch schon wieder vorbei. So toll sind die derzeitigen Geburtenraten dann halt doch nicht, auch wenn momentan beinahe jeder übers Kinderkriegen zu sprechen scheint. Platz bekommt das, was sich verkauft, diese einfache ökonomische Regel ist im rund 1400-seitigen Quelle-Katalog paradigmatisch zu studieren - zusammen mit dem Rest des Einmaleins des Konsums. Schnäppchen- und Jubiläumsangebote, Geschenke und Gutscheine, Expertentipps und Telefonhotlines, die ausgestreuten Kaufanreize haben sich im Laufe der Jahrzehnte nicht gravierend geändert, auch wenn man mittlerweile per SMS seine Bestellung aufgeben kann. Quelle, so könnte ein Werbeslogan lauten, ist sich treu geblieben, noch immer gibt es den guten alten Katalog, noch immer heißen Vibratoren jugendgerecht Massagestäbe, noch immer ist ein großer Teil der Waren von erlesenem schlechten Geschmack, und die Kunden scheinen das zu belohnen. Eine unglaubliche Auflage von zwölf Millionen Exemplaren hat der neue Katalog (in Österreich zwei), und er erreicht 40 Prozent der Haushalte.

"Ich hab' schon alles / ich will noch mehr / Alles hält ewig / Jetzt muss was Neues her." Es ist ein Grönemeyer-Song, der einen angesichts der überbordenden Quelle-Angebote als erstes in den Sinn kommt. Doch mit 08/15-Ideologiekritik, die das Leben als einen einzigen Kaufrausch verdonnert, den Versandhäuser wie Quelle mit immer neuen und dabei so identen Lockrufen anstacheln (Ein Rad um € 49,90! Ein Smart um € 1990! Ein Brillant um € 99!), ist man schon in den vergangenen Jahrzehnten nicht recht weitergekommen. Die Ideologiekritik hat Schimmel angesetzt, Quelle allerdings putzt sich Saison für Saison neu heraus.

Jeans "mit speziellem Schnitt und formendem Stretch" versprechen im jüngsten Katalogexemplar den Weg zur Traumfigur: "3 Kilo schlanker - ohne Blitzdiät!", allgegenwärtige Cargo-Hosen peppen sowohl Sie als auch Ihn auf, und noch immer verspricht Quelle, dass man mit "Druck-Hemden in modischer Crash-Optik" "absolut modisch" sei. So schreierisch einzelne Produktbeschreibungen daherkommen, so wenig sollte man sich allerdings über die prinzipielle Stilistik des Quelle-Katalogs täuschen: Wann immer es geht, ersetzt man Fremdwörter durch verständlichere Begriffe, kurz und knapp informiert man über alles Wesentliche. Mit einem späten Benn- oder frühen Enzensberger-Gedicht hat denn Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung die Texte im letzten, dem 100sten Katalog, verglichen.

Zu diesem nüchternen, am Boden verhafteten Image passt denn auch die Werbelinie des Hauses, die auf den Bubicharme des Günther Jauch setzt. Obwohl er und Hund Mogli nur in den Spots der Firma und nicht im Katalog vorkommen, verschmelzen die Quelle-Polsterecken und Sitzbankgarnituren beim Durchblättern geradezu mit den beiden. Nur auf den Seiten 798 bis 801, also gleich nach den Lockenwicklern und noch vor den Badezimmermöbeln, hält man kurz inne. Die vier Seiten sind mit "Spaß und Liebe" übertitelt, gehören wahrscheinlich zu den meist studierten des Kataloges und bergen die Basics eines Erotikversands. Vier Seiten, die im 2300 Gramm schweren Katalog beinahe verschwinden - und anhand derer man eine ganz eigene Geschichte der Aufklärung schreiben könnte. (Der Standard/rondo/8/1/2004)