Cinderella passt was nicht - Peter Lund (Foto: Neuköllner Oper)

Foto: Neuköllner Oper
Wien/Berlin - "Hier ist Theater wirklich noch wichtig!", schwärmt Peter Lund, 38, Autor, Regisseur, künstlerischer Leiter der Neuköllner Oper, von Wien: "Hier wird man als Theatermacher ernst genommen! Hier lauf' ich singend durch die Gassen und genieße am Theater der Jugend entspanntes Arbeiten."

Dort hat er mit Jumping Jack sein durchaus heikles Jugendstück zur Uraufführung gebracht, dort kommt er zu einem Gastspiel mit einem "ziemlich schrägen Märchenmusical", das heute im Renaissance-Theater, 16 Uhr, Premiere hat. Auf Cinderella passt was nicht (Musik: Thomas Zaufke) folgt im März als Koproduktion die Uraufführung seiner Traurigen Ballade von John Merrick, genannt: der Elefantenmensch. Dass dazwischen noch Heribert Sasse als Herr Karl Sologast ist, macht durchaus Sinn.

In ihrer Zeit im Leitungsteam des Berliner Schlosspark-Theaters lernten Thomas Birkmeir und Gerald Bauer die Neuköllner Oper, die Peter Lund seit 1996 mit Gründer Winfried Radeke künstlerisch leitet, kennen und schätzen. Es ist ein Musiktheater der anderen Art, das sich durchgesetzt hat an ungewohntem Ort: im Türken- und Arbeitslosen-kiez Neukölln.

Hoch unterm Dach im alten Gesellschaftshaus in der Karl-Marx-Straße: Mit Fleiß und Fantasie, mit Witz und Courage sind die Neuköllner nach der Schließung des Metropol-theaters, der Privatisierung des Theater des Westens, nach der Überführung von Staatsoper, Deutscher Oper und Komischer Oper unter dem Dach einer Stiftung ein eigenwilliger Fels in der Opernlandschaft, der sich bestens behauptet.

"Oper für Kurze"

Lund hat daran viel Verdienst: Über zwanzig Stücke hat er in zehn Jahren geschrieben und oft auch inszeniert. Die Bandbreite reicht von der "Oper für Kurze" zu Musik-Märchen auch für Erwachsene wie Der Glückliche Prinz nach Oscar Wilde, die unangestrengt kritisch ins Heute führen. Eine Schwäche hat Peter Lund fürs anspruchsvolle Musical: Lady be Good, Die Boys von Syrakus, sogar Stephen Sondheims Assassins werden riskiert.

Oft im Zusammenwirken mit der Universität der Künste, wo er einen Lehrauftrag hatte und jetzt eine Profes- sur im Studiengang Musical/ Show: "Da kann ich jetzt sogar mit den Studenten Improvisation betreiben! Aus dieser Arbeit resultiert wechselseitiges Engagement im doppelten Sinn: Viele Studenten kommen als Anfänger gern zurück in die Neuköllner Oper, wo sie in Koproduktionen schon als Studenten mitgespielt haben."

Publikumsrenner wurde sein Kiez-Musical Das Wunder von Neukölln. Mit den "Krötzkes" entstanden zwei Soap-Musicals mit auch sozial ernstem Witz. Peter Lund ist hoffnungslos taburesistent, ohne je aufdringlich zu werden. Und legt Nachdenken amüsant unterhaltend nahe. So kam gerade, von ihm neu getextet und von Winfried Radeke für zwei Klaviere zu je vier Händen bearbeitet, Mozarts Cosí als reine Männersache zum Erfolg. Und in seinem neuen Elternabend mobben sich die Erzeuger tatsächlich bis zur Weisglut.

Auch seine Cinderella kommt "anders" daher: "Wo alle von schönen Klamotten träumen, will sie eine Ritterrüstung für den Ball. Die große Gala trägt der wiedergefundene Vater als Drag-Queen. Und der schwule Prinz will nie und nimmer König werden."

Die Vielfalt der Neuköllner Oper reicht vom Madrigalspiel Gesualdo über die Barockoper bis zur DDR-Operette Messeschlager Gisela , aber auch zur Weiterentwicklung des Musiktheaters im "Neuköllner Opernwettbewerb". Man denkt kostenbewusst: 40 Prozent des 1,2-Mio-Euro-Etats erwirtschaftet man selbst, der Platzzuschuss liegt mit 25 Euro extrem niedrig. Bis zu 200 Künstler profitieren jährlich von diesem für den Nachwuchs wichtigen Arbeitsplatz. Die letzte Bewertung beim Kultursenat fiel bewundernd aus: Die Neuköllner werden weiter gefördert, denn sie sind "frech, intelligent, originell und aktuell". (DER STANDARD, Printausgabe, 8.1.2004)