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Hamburg - Ihm flogen bereits die Sicherungen heraus: Der Satellit Oersted, ins All geschickt, um das vor Sonnenwind schützende Erdmagnetfeld zu überwachen, fiel ausgerechnet einer Schwachstelle des Feldes zum Opfer: Über dem Südatlantik, wo Oersted vom Sonnenwind buchstäblich zerschossen wurde, hat das Feld nur noch die Hälfte seiner Stärke, der Schutzschild der Erde quasi ein Loch. Forscher fürchten, dass dies eine Polumkehr ankündigt.

Aus Untersuchungen magnetisierten Gesteins weiß man, dass sich das Erdfeld im Mittel alle 200.000 Jahre umpolt. Die letzte Umkehrung ist allerdings schon 780.000 Jahre her. Was der Natur offenbar nicht viel ausmacht, könnte für die hoch technisierte Menschheit ein Problem werden. Wenn das Magnetfeld während der Umkehrung kurz verschwindet, liegt die Erde ungeschützt im Sonnenwind, ist hochenergetischen Teilchen ausgesetzt: Strahlung würde wenigstens die Schaltkreise moderner Computerchips empfindlich treffen.

Die nun bei einem Expertenmeeting in Los Angeles präsentierten Zahlen: Seit etwa 1000 Jahren schwäche sich das Erdmagnetfeld ab, seit 150 Jahren mit deutlich zunehmender Geschwindigkeit, berichtete Robert Coe von der University of California. Nach Analysen des Geoforschungszentrums Potsdam (GFZ) habe die Stärke des Magnetfeldes seit 1979 um 1,7 Prozent abgenommen, über dem Südatlantik sogar um zehn Prozent.

Die Ursache liegt im flüssigen Erdinneren. Große Temperaturunterschiede zwischen Kern und der Grenze zum Erdmantel lassen die glutflüssige Eisenschmelze zirkulieren. Unter dem Einfluss der Erdrotation bilden sich Wirbelströme, ähnlich Hoch- und Tiefdruckgebieten.

Doch die magnetische Feldstärke nimmt derzeit zehnmal so schnell ab, wie wenn dieser Geodynamo abgeschaltet wäre. Über dem Südatlantik sogar hundertmal schneller. Teile des Dynamos scheinen also eine Gegenbewegung begonnen zu haben - der Beginn der nächsten Umpolung?

Gebiete werden größer

Aus Satellitendaten der Jahre 1980 und 2000 weiß man, dass sich das Magnetfeld örtlich bereits umgekehrt hat: In diesen Regionen zeigt der Kompass in die "verkehrte" Richtung. Alarmierend sei, dass sich die Gebiete mit umgekehrter Magnetfeldrichtung in 20 Jahren ausgeweitet haben, erklärte der Pariser Geophysiker Gauthier Hulot.

Im äußeren Erdkern bildeten sich verstärkt Wirbel, die sich gegen die allgemeine Fließrichtung des flüssigen Eisens bewegen. Noch beschränken sich diese Gegenströme auf einzelne Regionen wie den Südatlantik. Indes könnten die wachsenden Gebiete mit umgekehrter Magnetpolung eine fundamentale Änderung der Strömungsverhältnisse ankündigen.

Auf dann herrschende Bedingungen gibt die Südatlantikregion einen Vorgeschmack: Über diesen Breiten empfängt die Besatzung der internationalen Raumstation ISS rund 90 Prozent ihrer Strahlendosis, obwohl sie sich dort nur zehn Minuten pro Tag aufhält. Die derzeitigen Probleme der ISS - die Besatzung versucht einen seit Tagen anhaltenden, nach offiziellen Angaben vom Dienstag jedoch ungefährlichen Druckabfall in den Griff zu bekommen - dürften mit der Strahlung aber nichts zu tun haben: Vielmehr könnte ein Kometenstück oder Weltraumschrott der Raumstation ein Leck geschlagen haben. Doch neben Oersted wurden inzwischen weitere Satelliten und das Weltraumteleskop Hubble durch Strahlung beschädigt.

Nasa-Forscher James Heirtzler forderte Sicherheitsmaßnahmen für Raumfähren, Satelliten und insbesondere für Astronauten: Hielten sich Raumfahrer in der Schwächezone des Feldes zu Arbeiten außerhalb der Station auf, könnten sie eine tödliche Strahlendosis abbekommen. (Axel Bojanowski/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 1. 2004)