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Martin Höllwarth, in Oberstdorf Dritter, will sich vernünftig ernähren. "Wer nie satt ist, wird grantig."

Foto: Reuters/Winkler

Christian Hackl aus Garmisch

Sigurd Pettersen hat Deutschland niemals mit "Bratwurst" assoziiert. Weder als Bub in der norwegischen Grundschule noch später als angehender Skispringer. Und erst recht nicht am 29. Jänner 2003. Da war der 23-Jährige nämlich in Oberstdorf. Noch ist die Erinnerung frisch, später einmal kann er die Ergebnisliste des Auftaktbewerbs der 52. Vierschanzentournee herzeigen - darauf steht geschrieben, dass er diesen überlegen gewonnen hat. Vor den Österreichern Thomas Morgenstern (17) und Martin Höllwarth (29).

Pettersen widerlegte das Gerücht glaubhaft. Von deutschen Bratwürsten hat er gewiss keine Ahnung, er kennt sie maximal vom Wegschauen. "Er hat deutlich an Gewicht verloren", sagt Höllwarth, "man sieht sich ja dauernd - mir steht das Urteil zu." Eine sichere Bühne?

Walter Hofer, Kärntner von Geburt an und seit sechs Jahren Renndirektor der FIS, ist für den reibungslosen Ablauf der Wettkämpfe und fürs Reglement zuständig. "Wir sind dazu da, den Sportlern eine sichere Bühne zu geben. Und sie sollen ordentlich verdienen. Der Athlet und der Trainer sind für uns die ersten Ansprechpartner - ihr Wort gilt."

Hofer schwört, dass in den vergangenen zwei Jahren keine Bedenken hinsichtlich untergewichtiger Springer geäußert wurden. "Die nationalen Verbände nennen die Athleten, und sie müssen fitte Leute zur Verfügung stellen. Dafür haben sie die Vermarktungsrechte. Aber mir ist klar, dass es ein Problem gibt." Die FIS setzte Maßnahmen, machte zum Beispiel aus Säcken enger anliegende Fluganzüge mit dem Ziel, kräftige Typen zu forcieren. Ergebnis: Die, die drinstecken, werden trotzdem immer dünner und dünner. Offen bleibt, wie man die Haut von den Knochen unauffällig entfernen kann. So, dass es im TV gut ausschaut. Hofer: "Man kommt mit der Dynamik des Sports nur schwer mit."

Der norwegische Cheftrainer heißt Mika Kojonkoski. Der Finne, der den Satz "Die Augen müssen leuchten" nicht selten strapaziert, war von 1997 bis 1999 für die Österreicher verantwortlich. Höllwarth (1,82 m) erinnert sich: "Ich nahm damals fünf Kilo ab. Von 70 auf 65. Es war ein Hungern zum Erfolg. Leicht fliegt halt besser. Leider." Der Tiroler ist für die Einführung eines Limits, eine bestimmte Größe sollte ein bestimmtes Gewicht bedingen. "Bleibst du drunter, kriegt du eben Gewichte aus Blei aufgepackt." Höllwarth findet es traurig, "dass es so weit kommt. Noch viel trauriger ist, dass man mitziehen muss." Er selbst versucht mit dem Thema Hunger vernünftig umzugehen. "Wenn man dauernd daran denkt, beschäftigt man sich erst recht mit dem Essen. Das verdirbt die Laune - wer nie satt ist, wird grantig."

In Deutschland wackelt der nahezu krankhaft ehrgeizige Trainer Wolfgang Steiert - er hatte bereits im Sommer Frank Löffler und Michael Möllinger zu einer Hungerkur verdonnert. Sie verweigerten den Befehl, wurden suspendiert. Der Spiegel titelt in der aktuellen Ausgabe: "Ein Karren voller Dreck." Dem deutschen Skiverband ist die Angelegenheit wenigstens peinlich. In Österreich gab es einst den Fall des Christian Moser: Der erkrankte Mitte der Neunziger an Magersucht; den Sport hat er längst aufgegeben.

Hofer wartet die Saison ab. "Setzt man irgendeine Grenze, hat man vielleicht die Probleme nur verschoben. Dann kommen möglicherweise Anabolika ins Spiel, um Muskelmasse rasch aufzubauen."

Pettersen freut sich aufs Neujahrsspringen in Garmisch. "Jeder Wettkampf hat ein eigenes Leben." Zu Silvester wird er mit Teamkollegen ein paar Raketen abschießen - das macht nicht dick. Höllwarth wird sich erst nach der Tournee belohnen. Mindestens mit einer Bratwurst. (DER STANDARD PRINTAUSGABE 31.12.2003/1.1.2004)