Eines haben die serbischen Parlamentswahlen mit Sicherheit nicht gebracht: Stabilität und Berechenbarkeit in dem Land, das wegen anhaltender Streitereien im demokratischen Lager permanent an der Kippe zur Unregierbarkeit steht. Mit dem Sieg der Ultranationalisten bei den vorgezogenen Parlamentswahlen hat sich Serbien jedenfalls wieder ein Stückchen vom gemeinsamen Europa wegbewegt. Die Ultranationalisten gewannen, weil sie geschlossen auftraten, die verarmte Unterschicht überzeugend ansprachen und weit gehend ideologielos, dafür aber lautstark Fundamentalopposition betrieben. Sie schöpften ihr Wählerpotenzial weit gehend aus.

Stabile Mehrheit der reformwilligen Kräfte

Trotz des Sieges der Radikalen darf aber nicht übersehen werden, dass es in Serbien nach wie vor eine stabile Mehrheit der reformwilligen Kräfte gibt. Vier von sechs Parteien im neuen serbischen Parlament fühlen sich der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet, wenn sie auch manchmal diese Begriffe eigenartig interpretieren.

Haufen zerstrittener Egomanen

Dass die demokratisch orientierte Mehrheit aber seit Jahren nichts zusammenbringt, liegt daran, dass die politische Führungsschicht Serbiens aus einem Haufen zerstrittener Egomanen besteht, woran die Wahl am Sonntag nicht das Geringste geändert hat. Verantwortung für den Staat als Ganzes zu übernehmen ist diesen Balkangranden völlig fremd. Ihre Unfähigkeit, das Land zu regieren, ist die wahre Ursache für den Wahlsieg der ultranationalistischen Radikalen. Sie haben die Wähler in die Hände der dumpfen Seselj-Adlaten getrieben.

Nagelprobe für Serbien

Eine Nagelprobe für Serbien werden nun die Verhandlungen zur Bildung der neuen Regierung werden. Man geht kein großes Wagnis ein, wenn man auf ein Scheitern der Koalitionsgespräche setzt, weil die Parteichefs Macht und Pfründen nicht teilen können oder wollen. Neuwahlen stünden dann wieder an - und die Radikalen könnten erstmals die absolute Mehrheit erringen. (DER STANDARD, Printausgabe 30.12.2003)