Die japanische Choreografin Akemi Takeya spielt in "ZZ" mit ihrem Körper und der Illusion des Ich.

Foto: dietheater
Zwei Lichter im vorweihnachtlichen Tanz- und Performancereigen ergründen die körperlichen Parallelwelten der Erzählung: Akemi Takeyas "ZZ" im dietheater Künstlerhaus und die Coop-Satire "Choreographing Dialogues" imflieger, WuK.


Wien - Sie steht allein in einer großen Lichtlacke, hält ein halb leeres Glas in der Hand. Mit kreisenden Bewegungen eines Fingers bringt sie das Glas zum Singen, entlockt ihm einen fragilen Ton, der sich wie eine Klangspirale im Theaterraum kringelt, der anhält, obwohl die Tänzerin ihren Finger bereits einige Zentimeter von dem Gefäß entfernt bewegt. In ihrem jüngsten Solowerk ZZ im dietheater Künstlerhaus spielt die japanisch-österreichische Choreografin Akemi Takeya fließend auf der Klaviatur der Illusion. Thema ihres Stücks ist das vertrackte Ich, die Lust und die Last eines - sich auflösenden - Ego.

Das Ich ist ein Trick. Das Ichgefühl spiegelt seiner Trägerin ein Selbst vor, das sie mit sich schleppt. "She feels dizzy", flüstert Takeya in ihr Mikrofon. Von da an fällt ihre Anwesenheit auseinander. Die Teile, ihre Erscheinung, ihre Stimme, ihr Tun vermischen sich mit der Inszenierung durch Licht, Klang und Komposition. Dieses Zerfallsgewebe erweitert die Darstellerin, bis sie sich in Finsternis hüllt und zu kreischen beginnt. Abrupt hört sie auf, stellt ein Diktafon auf den Boden und spielt diese Stimmeruption noch einmal vor.

In ZZ spielt Akemi Takeya - mit kreativer Unterstützung unter anderen von Ong Keng Sen, Armin Anders und Jan Wagner - jene Kapazitäten des Tanzes aus, die das Unaussprechliche formulieren, die Texte zwischen und unter den Wörtern freilegen, damit die Körpererzählungen unter der Haut verbaler Narration herauspräparieren.

Sie interpretiert das so frei werdende Diskursrhizom über das Subjekt in strenger Form, der sich auch sein Zerfall unterwirft: Wenn sich das Wort in Rauch und kitschigem Sprechblasenkräuseln auflöst. Wenn sich ein Körper von der Formulierungskraft wie jener Takeyas in einen Schwarm von Verkörperungen teilt, wird klar, wie Tanz im besten Fall funktioniert. Die Erzählung verschwindet vor dem allzu literarisch geschulten Blick. Wischt man sich dann die Wortschuppen aus den Augen, tut sich eine faszinierende Parallelwelt auf.

Um diese Parallelwelt ging es auch bei Choreographing Dialogues bei imflieger im WuK, einer Kooperationsarbeit von illustren Wiener Performance- und Tanzschaffenden: Milli Bitterli, Andrea Bold, Oleg Soulimenko, Jack Hauser, David Ender, Sylvia Scheidl, Miguel Angel Gaspar und Sabina Holzer.

Während Akemi Takeya über die Auflösung des Selbst reflektiert, verhandelten die Beteiligten hier über die Entgrenzung von Mein und Dein. Im Kunstkontext immer noch ein Nervenkitzel. Was passiert, wenn acht Ich-AGs einander künstlerisches Eigentum zur freien Verfügung aushändigen? Wer bei Choreographing Dialogues angesichts dieses Vorhabens innerwütigen Überreichungspathos und schwerblütigen Rollentausch erwartet hatte, wurde aufs Heiterste enttäuscht.

Tauschgeschäft

Witz und Leichtigkeit, kommunikative Verspieltheit und beinahe anmutiges Bei-sichBleiben kennzeichneten das Tauschgeschäft. Da sägte und klebte sich der Musiker-Autor David Ender ein fantastisches Musikinstrument zusammen, kochte die Choreografin Andrea Bold einen Tee, probte Oleg Soulimenko wankende Türmchen aus Wassergläsern. Ein harmlos anmutendes Szenario, hinter dem die radikale Folgerung stand, dass bei allem Austausch am Ende nur das zählt, was als Eigenes wiederbestimmt wird. Als wilder Alien tanzte Milli Bitterli durch die Szene und rief: "Winnetou! David Lynch! Björk! DELEUZE!"

Und wieder taucht die Metapher des Schwarms auf. Bitterli zerstob bis zur Kenntlichkeit unter der Wucht ihrer Wort- und Bewegungszeichen. Unter den Hüllen der Repräsentationen wurden deren Bedingungen sichtbar.

ZZ und Choreographing Dialogues sind die Lichter im vorweihnachtlichen Tanz-und Performancereigen. In beiden ist es gelungen, das "Eigene" weiter zu entmystifizieren. Japonistische Anarchie und austriakische Ironie führen zwei höchst unterschiedliche Diskurse. Unter dem Strich fügen sich die Arbeiten bestens zusammen: als Störfälle im Defektreaktor der allgemeinen Egomanie und als Verschleuderer von künstlerischem Eigenkapital. (DER STANDARD, Printausgabe vom 20./21.12.2003)