Richard Gerstl
Gruppenbildnis mit Schönberg
1907, Öl auf Leinwand, 169 x 110 cm
(Stiftung Sammlung Kamm, Kunsthaus Zug, Schweiz)

Foto: Albertina / Stiftung Sammlung Kamm / Kunsthaus Zug

Die Geschichte von Fritz Wotruba, der Sammlung Kamm sowie der Galerie Würthle sind aufs Engste miteinander verwoben. Die Wiener Albertina blickt anhand von 200 Werken auf ein packendes Kapitel der jüngsten Zeit.

Wien – Eine Geschichte der Galerie Würthle. Eine Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Ein paradigmatisches Kapitel Zeitgeschichte. Eine Sammlungsgeschichte. Das alles vereint die Ausstellung mit dem Quoten bringenden Titel Gustav Klimt bis Paul Klee. Wotruba und die Moderne in der Albertina.

Stücke der hauseigenen Sammlung kombiniert man dabei mit durchwegs hervorragenden Ölbildern und Blättern aus der Sammlung Kamm, heute bewahrt im Schweizer Kunsthaus Zug. Sie ist auch Bindeglied zu Wien und dem Bildhauer Fritz Wotruba, dessen gesamtes druckgrafisches Werk im Vorjahr übrigens von der Wotruba-Stiftung an die Albertina übergeben worden war. Die Familie des Bankiers Fritz Kamm in Zug sorgte während Wotrubas Schweizer Exil von 1938 bis 1945 für dessen Lebensunterhalt und Arbeit.

Auf Anraten Wotrubas, der 1945 nach Wien als Professor an der Akademie zurückkehrte, erwarb Fritz Kamm 1952 die Wiener Galerie Würthle, der Wotruba bis 1965 vorstand; 1967 musste die Familie Kamm die Galerie verkaufen. Der traditionsreiche Ort war vor der Arisierung unter Lea Jaray-Bondi eine der international maßgeblichsten Galerien. Sie wurde erst 1949 an die Eigentümerin restituiert.

Die Albertina verbindet nun eine mit naturalistischen bis abstrakten Werken gespickte Wotruba-Retrospektive mit Arbeiten der Moderne, welche sich wiederum in harmonie- und schönheitssüchtige sowie aggressiv-expressive aufspaltet. Oskar Kokoschka zeigt dies in einer Person, seine secessionistischen Träumenden Knaben stehen stilistisch völlig im Gegensatz zu den wilden Illustrationen zu Mörder, Hoffnung der Frauen. Klimts fröhlich-ornamentale Gartengemälde opponieren bereits Schieles Kahler Landschaft sowie Richard Gerstls Porträt der Schönberg-Familie – eines der "modernsten" Bilder hier – oder gar Kriegsbildern von Otto Dix und George Grosz.

Wotrubas eigenes künstlerische Interesse am Tektonischen, kombiniert mit Abstraktionstendenzen, spiegelt sich auch in Werken des Blauen Reiters, des Bauhaus, von Boeckl, Léger, oder vom wenig bekannten Franzosen Albert Gleizes, von dem ein 1912 gemaltes Aquarell höchste Qualität und Originalität miteinander vereint.

Die Albertina zeigt stolz, welch unschätzbar wertvolle Blätter sie von Schiele und Klimt besitzt, Werke, die sich im Zuge des Schiele- und vor allem internationalen Klimt-Booms auch preislich denkbar hoch entwickelten.

Auch darf in diesem Ausstellungsherbst hier die Wiener Werkstätte nicht fehlen, Objekte, welche die aus Wien stammende Ehefrau Kamms, Editha Ehrbar-Kamm, mit in die Ehe brachte. Modern muten die schwarz-weißen Hoffmann-Flächenmuster an; dessen frühe Zigarrendose weist wiederum fast ins 19. Jahrhundert. Dazu gesellt sich eine von Wotruba entworfene Grabmal-Stele für Hoffmann. Solch lebendige Gegenüberstellungen wie diese lässt der Rest der Schau vermissen. Die Fülle des Materials gebot offenbar andere Ordnungen.

Die Galerie Miethke beleuchtet derzeit das Jüdische Museum, Würthle eben die Albertina. Direktor Klaus Albrecht Schröder bezeichnet die Zerstörung des architektonischen Würthle-Ensembles von Carl Auböck gar als einen der größten Verluste in der österreichischen Nachkriegs(kunst)geschichte.

Für die Familie Dichand, die letzte Besitzerin der Galerie, rentierte sich der Betrieb aufgrund der sprunghaft gestiegenen Miete nicht mehr. Jetzt sind die Räume ein Nobelschaufenster für Prada. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.12.2003)