"Grey Gardens"

Foto: Kinoreal
Wien - Für einen Film braucht es oft nicht viel: Dem Schweizer Dokumentaristen Peter Liechti (Signers Koffer) etwa genügen ein Vorsatz ("seit dreißig Jahren rauche ich . . . doch jetzt ist Schluss") und ein spezieller Plan, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Mit der Kamera im Gepäck tritt er eine Wanderung von Zürich, seinem Wohnort, nach St. Gallen, seiner Heimatstadt, an - ein individuelles Nikotinentzugsritual also, das sich in der Folge allerdings beständig verzweigt und zu einem ungewöhnlichen "Heimatfilm" erweitert ("es gibt nichts Schöneres, als einer Schwäche nachzugehen"):

Hans im Glück - drei Versuche, das Rauchen loszuwerden ist Reisebericht und Tagebuch zugleich. Zu den Aufnahmen fügen sich assoziative Bilder aus anderen Filmen (und Filmen anderer), begleitet von Liechtis Off-Kommentar.

Viel Sport wird hier getrieben. Und Brauchtum gepflegt. Peter Liechti ("ein nicht rauchender Raucher ist das Einsamste überhaupt") ist ein genauer, mitunter liebevoller und oft herrlich misslauniger Beobachter von Menschen und Gegenden und von sich selbst. Im Verlauf des Films und der drei Wanderungen (die zwei Rückfällen geschuldet sind) lernt man mit dem Filmemacher einzelne Personen ein bisschen näher kennen. Andere bleiben flüchtig im Vorübergehen.

Hans im Glück erlebt heute, Mittwoch, seine Österreich-Premiere. Und zwar im Rahmen der zweiten Staffel der allmonatlichen von Kino Real konzipierten Dokumentarfilmabende, die diesmal unter dem Motto "Die unmögliche Liebe" stehen. Während Hans im Glück Bewegung im Raum vollzieht und thematisiert, wendet sich der zweite Film des Eröffnungsabends dann imaginären Bewegungen (und einer anderen Form von "Hassliebe") zu:

Gel(i)ebte Erinnerung

Grey Gardens von Albert und David Mayles - Wegbereiter des US-amerikanischen Direct Cinema - porträtiert Edith Beale Bouvier und ihre Tochter Edie. Die Tante und die Cousine von Jackie Kennedy, 79 und 56 Jahre alt, leben anno 1975 in ihrem einst mondänen, inzwischen völlig desolaten Landsitz in East Hampton.

Vor allem jedoch leben sie - als imaginäre Verwandte von Norma Desmond oder Baby Jane Hudson - in ihrer eigenen Welt, mit ihren Erinnerungen an die Vergangenheit. Abgesehen von einer kurzen Folge von Zeitungsnotizen, die von einer drohenden und schließlich noch abgewendeten Zwangsräumung des verwahrlosten Haushalts künden, bleibt es einzig den beiden Protagonistinnen vorbehalten, Einblicke in Lebensgeschichte(n) zu gewähren.

Die Kamera sieht ihnen dabei zu. Und dokumentiert so nicht zuletzt die Hingabe zweier hoffnungsloser Selbstdarstellerinnen an die Verheißungen des großen Kinos. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2003)