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Fischler: "Die Idee des geeinten Europas könnte auf dem Altar nationaler Interessen geopfert werden"

foto: apa/epa/Doppagne
Wien - EU-Agrarkommissar Fischler warnt vor der Bildung eines Kerneuropas, "das sich nicht mehr um die anderen Staaten kümmert. Ich befürchte, dass Chirac und Schröder ein eigenes Europa schaffen wollen", erklärte Fischler am Montag in Wien. Österreich wäre vermutlich nicht Teil eines solchen "Kerneuropas" - wirtschaftlich hätte man zwar keine Probleme. Doch die verteidigungs- und justizpolitischen Positionen des Landes sprächen dagegen. Bundeskanzler Schüssel hingegen kündigte an, man werde sich - was auch immer ist - "dran hängen".

Gruppe der Pioniere

Der französische Präsident Chirac hatte nach dem Scheitern des EU- Gipfels am Samstag die Bildung einer "Gruppe von Pionieren" vorgeschlagen, die Europa voran bringen soll. Für Fischler besteht für diesen Fall die Gefahr der Bildung von zwei oder drei weiteren Gruppen, die ihre eigenen Interessen durchsetzen wollten. "Das wäre der Anfang vom Ende eines gemeinsamen Europas." Es sei ein "Dilemma", dass nationale Interessen hinter EU-Interessen gestellt würden, sagte Fischler. Regierungen würden nicht erkennen, dass EU-Interessen "die Interessen aller" seien und Probleme im Rahmen der EU "einfacher, besser und effizienter" gelöst werden können. "Die Idee des geeinten Europas könnte auf dem Altar nationaler Interessen geopfert werden", warnte der ÖVP-Politiker.

Österreich nicht im Kern Europas

Fischler glaubt nicht, dass Österreich Teil eines solchen Kerneuropa sein könne. Im wirtschaftlichen Bereich würde es zwar keine Probleme haben, jedoch im sicherheitspolitischen und wegen seiner Ablehnung eines europäischen Staatsanwalts auch im juristischen Bereich. Eine EU der zwei Geschwindigkeiten sowie die Entwicklung eines Kerneuropas im Rahmen der EU-Institutionen - wie es im Verfassungsentwurf vorgesehen sei - würden für Fischler hingegen kein prinzipielles Problem darstellen. Er verwies auf das Beispiel des Euro.

Schüssel: "Was immer auch ist, wir hängen uns dran"

Schüssel meinte zur Frage einer Spaltung der Union in ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten" mit einem tonangebenden "Kerneuropa": "Die Gefahr muss man sehen. Wir dürfen uns nicht abtrennen lassen". Österreich müsse signalisieren, "was immer auch ist, wir hängen uns dran".

Fischler: Einigung vor Sommer nicht wahrscheinlich

Eine Chance auf Wiederaufnahme der Verhandlungen über die Stimmgewichtung im Europäischen Rat sieht der Bundeskanzler nicht vor dem Abschluß der spanischen Parlamentswahlen im März 2004. Fischler hält eine Einigung in der ersten Hälfte des kommenden Jahres für nicht wahrscheinlich. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Parlamentswahlen in Spanien und die Europaparlamentswahlen, die keine günstige Vorausetzung für eine weitreichende Debatte bieten würden. Die erste Möglichkeit sehe er im Sommer unmittelbar nach den EU-Parlamentswahlen. In dieser Zeit müsse auch ein neuer Kommissionschef bestimmt werden.

Eine Lehre für Polen

Polen habe sich mit seiner Haltung selbst einen schlechten Dienst erwiesen, sagte der EU-Kommissar. Es habe allerdings bemerkt, dass es die Dinge nicht auf die Spitze treiben und dann doch noch ein Ergebnis erreichen könne. Dies sei eine Lehre. Es sei auch zu bezweifeln, ob Warschau sich bei den anderen Beitrittsstaaten sehr beliebt gemacht habe. Eine Vermischung der Verhandlungen von Finanzierung und politischen Rahmenbedingung lasse sich nicht mehr vermeiden, sagte Fischler. Je größer das Paket, um das verhandelt werde, sei, desto mehr Spielraum zum Ausbalancieren sei vorhanden. "Es darf ja niemand das Gesicht verlieren." Fischler hofft, die Kommission werde im Jänner kommenden Jahres ein Finanzierungs-Konzept vorlegen können.

Stenzel: "Viele Väter" für Misserfolg

Die ÖVP-Europaabgeordnete Ursula Stenzel zeigte sich optimistischer. Erstens könne es eine solche enge Zusammenarbeit nur "außerhalb der bestehenden Verträge" geben und außerdem müsse man sich die Frage stellen, "wie so ein Europa ohne Großbritannien funktionieren soll". Der Misserfolg des Verfassungsgipfels habe "viele Väter" gehabt, nicht nur Polen. So habe Frankreich eine Einigung "bewusst hintertrieben", weil es ein größeres Stimmgewicht Deutschlands gefürchtet habe. Auch Deutschland habe sich im Streit um die Abstimmungsregeln im Rat "egozentrisch" gezeigt.

Voggenhuber: Alle verantwortlich

Der Grüne Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber machte alle Regierungen für das Scheitern des Verfassungsprozesses verantwortlich. Eine Verfassung sei ihrer Natur nach eine Zähmung der Macht der Regierungen. Aus diesem "Teufelskreis" müsse man ausbrechen und den nationalen Parlamenten die verfassungsgebende Macht in der EU übertragen. Die freiheitliche Europaabgeordnete Daniela Raschhofer schrieb mit Blick auf umstrittene Defizitentscheidung den beiden "lahmen Riesen" Deutschland und Frankreich die Hauptschuld am Scheitern des Gipfels zu. (APA)