Bild nicht mehr verfügbar.

Die Juristin Lydie Polfer (51) ist Luxemburgs Vizepremier-und Außenministerin.

Foto: APA/BERNHARD HOLZNER
Standard: Sehen Sie nach dem Scheitern des EU-Verfassungsgipfels nun die Gefahr eines Kerneuropa? Polfer: Kerneuropa an sich ist ja nicht eine Gefahr. Kerneuropa gibt es ja schon in verschiedenen Bereichen. Das haben wir auch in Nizza schon als so genannte verstärkte Zusammenarbeit besprochen: In einer erweiterten Union, wo der Entwicklungsstand der Länder noch sehr verschieden ist, muss es unweigerlich die Möglichkeit geben, unterschiedlichen Ländern zu erlauben, weiterzukommen. Aber ohne andere auszuschließen, die eben noch nicht wollen oder nicht können - natürlich in der Hoffnung, dass auch sie so schnell wie möglich dazukommen. Die Idee ist also eine positive, solange sie nicht gegen jemanden gerichtet ist, sondern einfach einer gewissen Realität in der Europäischen Union Rechnung trägt. Standard: Sie denken also nicht, dass sich nun eine Art zweite, engere Union bildet? Polfer: Ich wäre schon froh, wenn wir in dieser Union weiterkommen könnten, die wir haben. Natürlich darf es aber nicht so sein, dass einige Länder die anderen daran hindern wollen, weiterzukommen. Das ist aber das ungute Gefühl, das man manchmal hat. Das müssen sich eben so manche Leute überlegen. Wenn einige nicht mitmachen wollen, dann ist das ihr Recht. Es ist aber nicht gut, wenn andere behindert werden, zusammen zu arbeiten. Denn sie können es ja trotzdem machen: Aber sie machen es dann außerhalb des gemeinschaftlichen Rahmens, und das ist keine gute Entwicklung. Darum sollte man die Länder nicht dazu bringen, sich auf diese Art und Weise zusammenzutun. Standard: Dazu bringen durch zu viel Unbeweglichkeit? Polfer: Ja, genau. STANDARD: Wie groß ist nach diesem Wochenende der Zeitverlust für die Verfassung? Polfer: Für das erste Halbjahr 2004 sehe ich wirklich nicht viele Chancen. Es gibt die spanischen Wahlen im März und im Juni die Europawahlen, und dann sind wir schon in der zweiten Jahreshälfte. Wie gesagt: Jeder muss sich seine Position jetzt noch einmal in Ruhe überlegen und dann zu den hoffentlich richtigen Schlussfolgerungen kommen. Standard: Ist denn nach dem Gipfel zumindest irgendetwas außer Streit? Zum Beispiel das Prinzip "ein voll berechtigter EU-Kommissar pro Land"? Polfer: Ja, das war wirklich der Punkt, der zumindest vorläufig am einfachsten gelöst werden kann. Das hat auch Berlusconi so vorgeschlagen. Standard: Wird das Scheitern des Gipfels auch die Diskussion um die EU-Finanzperspektiven beeinflussen? Polfer: Das hängt in der Tat mit vielem zusammen. (jwo/DER STANDARD, Printausgabe, 15.12.2003)