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"Du hast mein Häuschen zerbrochen, dafür werd' ich dich kochen." - Die kannibalisch veranlagte Hexe (Libgart Schwarz) bei der Kindermast (Raphael von Bargen als Hänsel).

Foto: APA/Techt
Unlogischerweise lockt Kindertheater vor allem in der Vorweihnachtszeit sein Publikum an. Zwei Premieren, "Hänsel und Gretel" im Burgtheater und "Der kleine Kröterich" im Theater der Jugend, geben derzeit aber nur partiell Anlass für einen Besuch.


Wien - Die großen Bühnen des Landes dienen sich selten dem Kinder- und Jugendtheater an. Aber: wenn schon, denn schon ein Grimmsches Märchen zur Weihnachtszeit. Dachten sich zum Beispiel die Programmplaner von Volksoper und Burgtheater und zeigen derzeit ihre Versionen von Hänsel und Gretel parallel. Es passt seit eh und je einfach zu gut in die sozialdramatische Vorweihnachtszeit.

Eine läppische Argumentation, die symptomatisch ist für den Kinder- und Jugendtheaterbereich an sich. Der auch mit dem tief verankerten Missverständnis kämpft, Theater müsse, sobald es sich an junges Publikum richtet, hauptsächlich Unterhaltung sein.

Siehe die aktuelle Produktion des Theaters der Jugend: Die wundersame Reise des kleinen Kröterichs , ein aus dem Jahr 1964 datierendes Märchen von Yaakov Shabtai, bleibt in der Inszenierung Frank Panhans' ein auf Kostümschau mit Soundtechnik reduziertes Roadmovie für kleine Helden: Der kleine Kröterich will in die weite Welt hinaus (Flucht vor den langweiligen Eltern), fällt auf Miesepeter rein (nur nicht unterkriegen lassen), verhindert nebenbei einen Krieg (Friede ist immer gut) und landet voll Freude dann wieder am See daheim (am schönsten ist es ja doch zu Hause). Theatergeschenk

Die Inszenierung bleibt allerdings die bloß spektakuläre Vermittlung, ohne Bedeutung. Während es die Kunst wäre, Geschichten an den Rand der Darstellbarkeit zu bringen, hält das Theater der Jugend (wie so oft) eine bunte Musicalaufmachung als Theater hin, verschafft Dutzenden Schulklassen einen lustigen Nachmittag (mit Überraschungsgeschenk). Vom Theaterstandpunkt aus betrachtet ist das tödlich. Kinder wissen gute Verpackung zu schätzen, aber bitte auch, was drin ist! Bei der Premiere im Renaissancetheater am Donnerstag hat man die Theaterödnis auch in der Schwätzlautstärke wahrgenommen.

Die Blöße des Entertainments gibt man sich am Burgtheater freilich nicht. Den "Rand der Darstellbarkeit" mutete man aber auch hier den jungen Besuchern nicht zu. Eine liebevolle, konventionelle Inszenierung von Wolfgang Wiens schickt Hänsel und Gretel auf die übliche Reise (mit Entenüberfahrt):

Im windschiefen Haus (Bühne: Claudia Vallant) der Holzhackerfamilie hängt gleichermaßen der Haussegen: eben schief. Ein Ei und geschenkte Milch sind einfach zu wenig für die Familie. Das versteht ein jeder. Dunja Sowinetz sprudelt heuchlerische Stiefmuttersätze (von Wiens in schöne Reimform gebracht), bevor in den Wald marschiert wird, in dessen Tiefe dann die Kinder (Mareike Sedl und Raphael von Bargen) ihrem gottgelenkten Schicksal überlassen werden sollen. Dem Vaterherz - es schlägt in Hans Dieter Knebels Brust - ist dabei gar nicht wohl, und trotzdem setzt er sich nicht durch (lehrreich: auch Eltern machen Fehler). Allen Ernstes wird dabei gesungen: "Im Frühtau, zu Berge, wir zieh'n vallera . . ." Gruselschule

Mitten hinein in das zunächst pure Sozialdrama tapst dann zum Glück ein Bär mit glühend roten Augen, die Baumstämme knarren ein wenig und es wird spooky. Das knallharte Spiel mit der kindlichen Urangst vor dem Verlassenwerden geht in eine andere Runde. Sie wird nicht rosiger: "Du hast mein Häuschen zerbrochen, dafür werd' ich dich kochen!".

Der Anflug der Kannibalenhexe (Libgart Schwarz am Seil) im zweiten Teil leitet über in die hohe Schule des Gruselns: mit bebend schlürfendem, schräg verzogenem Mund und schnalzender Zunge treibt sie die Kindermast voran. Zum Glück erfolglos, wie man weiß, denn das einst Beeren pflückende, weinerliche Ding Gretel schiebt die Alte kurzerhand ins Ofenfeuer.

Dass gemeinschaftlich anzustimmende Hänsel und Gretel -Schlusslied setzt der Konvention dann noch eins drauf. (DER STANDARD, Printausgabe vom 1.12.2003)