London - Es gibt Dinge, von denen man als Filmkritiker eigentlich nur träumen kann. Ein Interview mit Marlon Brando zum Beispiel, und der wäre dann wirklich guter Laune und redselig ... Aber nein, davon kann man nicht einmal träumen. Clint Eastwood wiederum: auch nicht schlecht. So ein One-on-one-Gespräch über seine Beziehung zu Regisseuren wie Sergio Leone, Don Siegel oder John Houston; darüber, wie er selbst als Regisseur eigentlich von der französischen Filmkritik "entdeckt" wurde; oder einfach die Frage: Wie liest man das, dass man zunehmend neu gelesen und interpretiert wird?

Jedenfalls: Große Vorfreude, als die Nachricht eintrudelt, dass Eastwood in London Mystic River präsentieren wird, gemeinsam mit zwei Stars des Films, Larry Fishburne und Tim Robbins, und ob man nicht ...? Aber ja doch! Freilich, es werde kein klassisches Presse-Junket geben, nicht einmal ein Round-Table-Gespräch, sondern eine so genannte Mini-Pressekonferenz, aber da werde hoffentlich hinlänglich Zeit sein, dass genügend interessante Aspekte verhandelt werden können.

Gehofft, getan: Im Empfangssaal eines Londoner Luxushotels tummeln sich etwa hundert Journalisten aus ganz Europa. Ihnen wird mitgeteilt: Die drei "Interviewpartner" stehen - gemeinsam! - etwa 30 Minuten zur Verfügung. Eastwood, Fishburne und Robbins verspäten sich dann ein bisschen. Dafür gehen sie auch ein bisschen früher. Aber wer will es ihnen wiederum verdenken, wenn man schon bei Frage zwo einen Tiefschlag wie "Mr. Eastwood, warum sehen Sie eigentlich immer noch so fit aus?" verkraften muss?

Sieht Clint Eastwood tatsächlich "so fit" aus? Er murmelt etwas von Kindern, die einen jung halten, und von geistiger Beweglichkeit durch Arbeit bis ins hohe Alter. Eigentlich wirkt er mit seinen 73 Jahren eher wie ein zunehmend fragiler US-Orchestermusiker, der heute versehentlich den Frack mit einer Baseball-Jacke ausgetauscht hat. Und am liebsten erzählt er offenbar tatsächlich über seine musikalischen Neigungen: Schon zuletzt hatte jeder seiner Filme zumindest ein Score-Motiv oder einen Song, den Eastwood selbst komponiert hatte. Im Fall von Unforgiven sei diese Melodie zum Beispiel wie von selbst aus der Arbeit am Set und im Schneideraum entstanden, in anderen Fällen wiederum, etwa jetzt bei Mystic River ...

"Sorry ..."

Einigen der Journalisten ist das Thema etwas zu entlegen. "Haben Sie sich als Experte für Gewalt und Trauma in dem Jungen wiedererkannt, der da im Auto verschleppt wird?", ruft einer. Wie bitte? "Sorry, I never was in that car", sagt Eastwood lapidar. Larry Fishburne und Tim Robbins nützen die entstandene Pause, um über die "familiäre und zugleich höchst professionelle Stimmung am Set" zu schwärmen. Dass der Regisseur keine Zeit verschwendet und meist schon den ersten oder zweiten Take einer Szene nimmt, ist mittlerweile Legende. Auch hier soll er wieder einmal vor dem geplanten Drehschluss fertig geworden sein und das Budget unterschritten haben - obwohl an Originalschauplätzen in Boston gedreht wurde und so etwas für gewöhnlich als kostenaufwändig gilt.

"Das ist etwas absurd", sagt Eastwood. Aufwändig sei es doch vielmehr, an billigen Locations wie Toronto spezifisch amerikanische Locations mit mehr Ausstattungsaufwand zu simulieren. "Nein, Boston ist Boston, und vor Ort hilft das auch den Schauspielern." Dass danach keine Zeit bleibt, Eastwood, den mimischen Minimalisten, detaillierter über seine Haltung zu Charakterdarstellungen zu befragen, liegt daran, dass ein Journalist brüllt: "Und? Arnold Schwarzenegger?"

Dem wünscht Eastwood "viel Glück". Er lacht aber auch, als Tim Robbins seinerseits meint, der nächste kalifornische Gouverneur werde wohl Jean-Claude Van Damme heißen. Jetzt nur kein politisches Statement, das nachher unter "Eastwood ist besorgt!" in den Medien aufgeblasen werden könnte! Der Mann ist vielleicht fragil, aber er kennt den Schatten, den er wirft. "So, und das war's. Danke für Ihre Aufmerksamkeit." Und wir träumen jetzt weiter. (cp/ DER STANDARD, Printausgabe, 27.11.2003)