Weitaus mehr als nur ein packendes Seefahrer- und Kriegsdrama ist der neue Film von Peter Weir ("The Truman Show").
Wien – "Acheron": Unheilvoll kreuzt zur Zeit der Napoleonischen Kriege, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, ein französisches Kaperschiff, benannt nach dem Unterweltfluss der antiken griechischen Mythologie, vor der Küste Brasiliens.
Das britische Kriegsschiff wiederum, das bei einer ersten Begegnung im Nebel fast schon dem Untergang geweiht scheint: Es ist allein vom Namen her – "HMS Surprise" – ziemlich simpel und wenig für einen Triumph geeignet. Zwar nennt man seinen Kapitän Jack Aubrey (Russell Crowe) "Lucky Jack". Aber eigentlich ist die "HMS Surprise" eine alte Schüssel, und: Wie lange ist Glück auf strategischem Gebiet tatsächlich eine vertrauenswürdige Kategorie?
Verfolger und Verfolgter in wechselseitiger Fixiertheit aufeinander; hier ein konkreter Held, ein bis in die kleinsten Details und Handgriffe porträtiertes Ensemble, ein Schiff als Mikrokosmos, der sich nur langsam aus dem Nachtdunkel über dem Ozean schält – und dort ein Phantom, das ironischerweise gerade aus der Distanz dämonische Züge annimmt. Man könnte Steven Spielbergs Duell als Referenzwerk für Weirs Film herbeizitieren. Auch Moby Dick wird aus nahe liegenden Gründen gerne als Vergleich herangezogen.
In der Wahl der Metaphern – menschliches Ringen auf engstem Spielraum vor dem Hintergrund weiter Horizonte und entfesselter Naturgewalten – mag das zutreffen. Dem Tonfall von Master and Commander entspricht es nur bedingt. Viel ergiebiger sind da schon Parallelen im bisherigen Werk des australischen Regiemeisters Peter Weir, der über alle Genres hinweg, in denen er sich schon versucht hat, geradezu manisch eine Frage verfolgt: Was macht den Menschen aus? Und wie sehr bleibt er sich dabei fremd? Nicht selten überschreitet der Regisseur dabei eine Grenze zum Unheimlichen.
Man denke nur an das Frühwerk Picknick am Valentinstag, in dem das mysteriöse Verschwinden einer Schülerinnengruppe plötzlich auch ein seltsames Licht auf Gebräuche in einem Internat warf. Man denke an Mosquito Coast, wo sich ein puritanischer Vater im Dschungel seiner Familie zunehmend entfremdete, oder an Der einzige Zeuge, wo Polizist und Amish-Sekte einander zuerst ratlos und sehr bezeichnend an das eigene Weltbild gefesselt gegenüberstanden. Man denke nicht zuletzt an den Kampf gegen (künstlich erzeugte) Naturgewalten, in dem The Truman Show als weitere Fabel einer – man darf getrost Kant ins Spiel springen – "Aufklärung aus nicht verschuldeter Unmündigkeit" gipfelte.
Stars und Thesen
Peter Weirs Filme – und darunter auch seine Kriegsfilme Gallipoli bzw. Ein Jahr in der Hölle – werden darüber immer wieder auch zu Thesendramen. Immer wieder verfallen die Protagonisten in weltanschauliche, fast sokratische Dialoge – was seinerseits interessante Brechungen zu den meist höchst renommierten und vor allem sehr physisch agierenden Hollywood-Stars – Mel Gibson, Harrison Ford, Jim Carrey und jetzt eben Russell Crowe – ergibt. Es ist, als würde die Philosophie sich ganz organisch in Räume hinein entwickeln, die sonst in Genres wie dem des Thrillers oder des Actionfilms meist nur über postmoderne Scherzchen Intellekt zulassen.
Nein, Weirs Helden halten stockend immer wieder inne, als wäre ihnen plötzlich ein unüberwindbarer Zweifel an der eigenen Kraft und Macht in den Arm gefallen, und das gibt ihnen immer wieder eine eigentümlich unaufgeregte mythische Qualität – ähnlich wie in Siedlerwestern von John Ford oder bei den räsonierenden Heroen Homers.
Selten war dies derart deutlich wie in Master and Commander, wo sich in der Enge des Schiffes und der damit verbundenen Reibereien unter Männern auf fast utopistische Weise zumindest ein denkwürdiger Frei-, Denk-und Kunstraum offen hält: Immer wieder ziehen sich der Kommandant und sein bester Freund, der Schiffsarzt (Paul Bettany), zu gemeinsamer Hausmusik zurück. Wiederholt diskutieren sie dabei, was denn nun den Krieger und den Wissenschafter, den Seemann und den Heilkundigen trennt und ergänzt zugleich.
Peter Weir und sein Co-Drehbuchautor John Collee wagen sich dabei ziemlich weit vor, wenn sie plötzlich auch Fragen der Menschenführung und der "Disziplin" ins Spiel bringen. In zwei herausragenden Szenen werden diese Ausführungen über die Kluft und die Verbindung zwischen dem Einzelnen und dem Gemeinwesen noch einmal aufgegriffen.
Einmal muss der Kapitän einen Matrosen, der in die stürmische See gestürzt ist und nur noch durch ein paar Seile und Trümmer mit dem Schiff verbunden ist, förmlich loshacken und zurücklassen, um Schiff und Besatzung nicht weiter zu gefährden. Dann wieder begeht ein Offizier, verängstigt und förmlich infiziert vom Aberglauben der Mannschaft, er bringe Unglück, Selbstmord.
Evolution Now!
Überleben dann die Stärkeren? Es ist natürlich Kalkül, dass Master and Commander ein einziges Mal dort "an Land" geht, wo Darwins Evolutionstheorie kulminierte – auf den Galapagos-Inseln. Echsen und Herren mit Strohhüten sind da in respektvoller Distanz gleichermaßen exotische Wesen. Zur näheren Erforschung hat der Schiffsarzt (noch) keine Chance. Auch dies liefert Anlass zum Disput – etwa darüber, welche Erkenntnisse man im "Interesse einer Nation" hintanhält.
Es bleibt, auch angesichts der finalen Schlacht, die Ahnung, dass eine nachgerade naturwissenschaftliche, aufgeklärte Weltsicht nicht zuletzt in Sachen Kriegsführung noch sehr nützlich werden wird. Dass Master and Commander kein Hehl daraus macht, dass der Krieg darüber nicht weniger grausam wird, ist nur ein weiterer Vorzug dieses grandiosen Films.
(DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2003)