I
Österreich steht vor großen Herausforderungen. Die öffentlichen Haushalte müssen konsolidiert werden, um der Politik Handlungsspielraum zu ermöglichen (...). Die Grundlagen unseres Wohlfahrtsstaates müssen abgesichert, reformiert und den geänderten Lebensbedingungen angepasst werden."

Mit diesen Worten beginnt das Koalitionsübereinkommen mit den Sozialdemokraten. Das an diesem Dienstag beschlossene? Nein! - Jenes von 1996.

Auf Seite 44 dieses Übereinkommens liest man: "... das tatsächliche Pensionsantritts- alter (ist) durch strukturelle Maßnahmen anzuheben." Und diese Zeilen waren von Nürnberger und Kostelka unterschrieben. Und heute, vier Jahre später, sollen wir daran glauben, dass ein von diesen beiden Herren nicht unterschriebenes Koalitionsübereinkommen die notwendigen Reformen garantiert? Nein, genug ist genug. Die Österreichische Volkspartei hat bereits zu lange und offensichtlich vergeblich großes Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der sozialdemokratischen Spitzen investiert, als dass ein weiterer Vertrauensvorschuss angezeigt wäre.

Das bislang vorgelegte Koalitionsübereinkommen verfolgt zwar in vielen Bereichen den richtigen Weg, geht aber teilweise zu wenig weit bzw. hat hinsichtlich der notwendigen Reformen nicht die ausreichende Unterstützung in den Reihen der Sozialdemokratie.

Auch ist nicht einzusehen, warum die Österreichische Volkspartei das Finanzministerium in den Händen der Sozialdemokratie belassen soll, hat sich doch herausgestellt, dass Finanzminister Edlinger entweder über die tatsächliche Budgetentwicklung nicht Bescheid wusste oder die Volkspartei absichtlich falsch informiert hat.

Wie auch immer, wenn dieser Minister zu den besten und klügsten Köpfen der SPÖ gehört, dann ist auf Seiten der ÖVP berechtigte Skepsis angezeigt. Papier ist geduldig, und auf diese Erkenntnis setzt die SPÖ Spitze: Wenn sie erst einmal in der Bundesregierung ist, wenn das Koalitionsübereinkommen erst einmal unterschrieben ist, dann werden sich schon Gelegenheiten und Möglichkeiten eröffnen, die die Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen erschweren bzw. verhindern.

Diese offensichtliche Strategie zur Machterhaltung darf die ÖVP nicht akzeptieren, denn das Wahlergebnis vom 3. Oktober zeigte, dass viele ÖVP Wähler mehr Standhaftigkeit, Prinzipienfestigkeit und Reformeifer von der Volkspartei erwarten.

Werner Amon, Bundesobmann der Jungen Volkspartei

II
Staatstragend war die Sozialdemokratie ja schon immer. Zumal in Österreich. Wie anders hätte sie es sonst so lange in einer großen Koalition aushalten können. Dass dieser Etatismus jedoch bis zur Selbstaufgabe reicht, ja sogar eine mögliche Spaltung mit der Gewerkschaftsbewegung billigend in Kauf nimmt, muss verwundern.

Denn das nun vereinbarte Koalitionspapier von Volkspartei und SPÖ ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die im Herbst diese Partei gewählt haben. Was ist denn in dieser Regierungsvereinbarung noch übrig vom sozialdemokratischen Gestaltungswillen? Die sozialdemokratische Handschrift in diesem Pakt droht nur noch durch die Unterschrift des Parteivorsitzenden erkennbar zu bleiben.

Das Karenzgeld wird zur Kinderprämie umgewandelt, Studiengebühren sollen ermöglicht, die Neutralität abgeschafft und das Pensionssystem zulasten der ArbeitnehmerInnen umgestaltet werden. Kein Wunder, dass die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter im Parteivorstand massiv gegen die Parteiführung kämpften.

Die Wege von Partei und Gewerkschaft haben sich also seit gestern womöglich getrennt. Das ist schlimm für die Partei, aber auch für die Republik, die sie so gerne tragen und schützen möchte. Denn eine ÖVP-Regierung mit rotem Kanzler gegen den gesamten ÖGB spaltet die Sozialdemokratie und zerstört ihre Glaubwürdigkeit gänzlich. Schließlich betitelte sie fast alle jetzt vereinbarten Maßnahmen mit der ÖVP vor gar nicht so langer Zeit als den falschen Weg.

Der lachende Dritte sitzt in Klagenfurt. Den Weg nach Wien hat die SPÖ mit ihrer Selbstaufgabe geebnet und die Pflastersteine vor dem Ballhausplatz durch eine Autobahn für Haider ersetzt. Sie kann nicht mehr zeigen, was sie besser machen kann. Insofern ist eine rot-schwarze Regierung auch kaum besser als eine schwarz-blaue, wenn sie doch das tut, was Schüssel mit Haider nicht anders machen würde.

Robert Pichler, Vorsitzender der Sozialistischen Jugend