Die Abenteuer eines übermütigen Jungfischs sind der Überraschungskassenschlager dieses Kinojahrs. Jetzt kommt "Findet Nemo", der jüngste Pixar-Animationsfilm, in die heimischen Kinos. Seine Väter luden zum Interview und zum Lokalaugenschein ins Aquarium.
Barcelona/Wien – Drei Jahre unter Fischen hinterlassen ihre Spuren: Pixar-Mastermind John Lasseter trägt Hawaiihemd mit Fischdruck, Chefanimator Dylan Brown vollführt bei der Beschreibung seiner Arbeit mit Händen und Oberkörper quasi Schwimmbewegungen: "O ja, wir essen immer noch Fisch. Zur Feier der Fertigstellung gab es ein riesiges Sushi-Buffet!"
Das professionell gut gelaunte Findet Nemo-Kernteam – neben Lasseter und Brown noch Autor und Regisseur Andrew Stanton, Koregisseur Lee Unkrich, Produzent Graham Walters, Produktionsdesigner Ralph Eggleston und Technical Director Oren Jacob – stand der europäischen Presse Rede und Antwort und hatte zu diesem Zweck nach Barcelona gebeten.
Und zwar weniger aus kulinarischen Gründen, sondern eher, weil eine abendliche Führung durch das dortige Tiefsee-Aquarium anschaulich macht, wo (und bei welcher Spezies) man in den vergangenen drei Jahren unter anderem seine Zeit verbracht hat – neben verpflichtendem Tauchscheinerwerb, Vorträgen von Meeresbiologen und Fischexperten oder vergleichenden Studien von Unterwasseraufnahmen. ("Unsere Recherchen haben es in sich – für Toy Story durften wir mit der Firmenkreditkarte Spielsachen kaufen . . .")
Findet Nemo (Finding Nemo), das jüngste Werk aus dem Haus Pixar (Toy Story, A Bug's Life, Monsters Inc.) ist nämlich nicht nur die Überraschung des Kinojahres 2003: 473 Millionen US-Dollar hat er seit US-Start im Mai eingespielt und damit alle prognostizierten Blockbuster weit abgeschlagen. Nun läuft Findet Nemo in Europa an – die Erfolgsgeschichte geht damit wohl in die nächste Runde.
Vor allem ist der Film eine Art von Unterwasser-Roadmovie, in dem (gezeichnete) menschliche Wesen maximal Statistenrollen haben. Nach den fantastisch erfundenen Helden von Monsters Inc., einem der gelungensten Animationsfilme der letzten Jahre, rückt nun einer ins Rampenlicht, der sozusagen reale Vorbilder hat:
Fisch beim Zahnarzt
Nemo, ein exotischer oranger Clownfisch, wagt sich in jugendlichem Übermut zu weit weg vom heimatlichen Riff, verfängt sich im Netz eines Tauchers und landet schließlich im Aquarium einer Zahnarztpraxis in Sidney. Sein Vater begibt sich, begleitet von einer herzensguten, aber mit chronischer Vergesslichkeit gestraften Fischdame, auf eine abenteuerliche Suche nach dem verlorenen Sohn.
Der Film entwirft als Schauplatz dieser Familiengeschichte atemberaubende künstliche Unterwasserwelten, die eine Vielzahl eigenwilliger Charaktere bevölkern: Schildkröten mit Surfer-Appeal, zwei Haie, die sich offensichtlich in einem Rehabilitationsprogramm für Fischfresser befinden, oder rosafarbene Schirmquallenschwärme, die das Meer in ein schaurig-schönes Szenario verwandeln. Mitunter entstehen nahezu abstrakte Farbbilder, weil vieles hier ganz schnell geht, ruckartige, blitzschnelle Fortbewegung dominiert.
Vor den Fischen kommt ihr Lebensraum: Alleine die Darstellung des Wassers sei eine große Herausforderung gewesen. Zum einen, weil natürliche Environments generell eine große Schwierigkeit für Computeranimationen sind. Ein Jahr habe man nur in die Erstellung der technischen Grundausrüstung investiert, um schließlich "zorniges" ebenso wie "rauchiges" Wasser visualisieren zu können.
Eine andere Herausforderung war die emotionale Aufladung der schwimmenden Helden: "Wir waren damit konfrontiert, die Aufmerksamkeit des Publikums während des ganzen Films an Figuren zu binden, die überhaupt nicht wie wir aussehen, und trotzdem gibt es diese unglaublich emotionsgeladene Erzählung, die wir über diese Figuren vermitteln mussten. Man musste also Wege finden, gewisse Elemente der Kommunikation wie zum Beispiel Körpersprache auf die Fische zu übertragen."
Kreative Freiheit
Einigkeit herrscht bei der Pixar-Familie jedenfalls auch, was die Zukunft und die Möglichkeiten von Computeranimationen betrifft: Man fälle bei Pixar Entscheidungen immer ausgehend vom Stoff, den man verfilmen wolle, und wähle daraufhin die entsprechenden technischen Lösungen: "Wir befinden uns an einem sehr spannenden Punkt dieser Kunstform. Keiner kann vorhersagen, wohin sie sich entwickeln wird. Mit den entsprechenden Mitteln kann man so ziemlich jedes Bild herstellen, das vorstellbar ist. Die entscheidende Frage im kreativen Prozess ist mehr: Was macht man mit dieser Freiheit? Ohne entsprechenden Rahmen kann man sich dabei ziemlich verzetteln."
Das Studio, das zum Disney-Imperium gehört, hat sich längst zu einer Trademark für Qualitäts-Unterhaltungsfilme entwickelt – inzwischen sind über 600 Mitarbeiter mit der Herstellung von Spielfilmen, die jeweils rund drei Jahre Produktionszeit für sich beanspruchen, sowie Kurzfilmen und Spots beschäftigt.
Zwei Projekte werden derzeit fertig gestellt: The Incredibles, eine Art Superhelden-Abenteuer, inszeniert von Brad Bird, kommt 2004 in die Kinos. Und Lasseter, der über Walt Disney genau so ins Schwärmen kommt wie über den japanischen Animationsfilmer Hayao Miyazaki (Chihiros Reise ins Zauberland), führt bei einem Film Regie, der ihm die Rückkehr zu alten Leidenschaften ermöglicht:
"Der neue Film heißt Cars. Mein Vater war Manager für Autoteile bei Chevrolet. Das war eine faszinierende Umgebung, die Ära der ,muscle cars'. Ich besuche also zurzeit zu Forschungszwecken Autorennen . . ." (DER STANDARD, Printausgabe, 18.11.2003)