So geht das mit dem Sex zu Hause bei den Milosevics: Slobodan (Michaela Hurdes-Galli) nimmt die Seine (Irene Coticchio) gleich mit dem Fauteuil.

STANDARD/DanielAschwanden
Mit der Sitcom "Die Milosevics" hat die Gruppe toxic dreams im Künstlerhaustheater ein Juwel herauspoliert, wie es besser in der freien Szene nicht gelingen kann: Telefonabhörprotokolle des kroatischen Geheimdienstes als Basis einer genialen Homestory.


Wien - Der Krieg ist die größte Fortsetzungsserie der Geschichte. Er hat kein Ende. Was einmal war, bleibt. Er hört selbst dann nicht auf, wenn man nach Hause geht und sich friedvoll in die Tapeten setzt oder doch Federball spielt. Und erst, wenn man im trauten Heim über die Temperatur des überheizten Swimmingpools diskutiert, ist er voll da: Die totale Abwesenheit des Krieges in der Theatersitcom Die Milosevics ist die eindringlichste Möglichkeit seiner Anwesenheit.

Mit dieser Berechnung hat die Wiener Formation toxic dreams die vom kroatischen Geheimdienst 1997 abgehörten Telefongespräche der Familie Milosevic (abgedruckt in der heurigen Mai-Ausgabe des US-Magazin Harper's) zur Grundlage ihrer neuesten Produktion gemacht. - Ein Glücksfall für die (freie) Szene, für diesen Theaterherbst und für sein bisher gnadenlos vernachlässigtes Publikum.

Papa Slobodan ist vom Krieg nach Hause gekommen zu seinen Lieben: zu seiner gelenkigen Frau und seinem sportlich hochgerüsteten Sohn am Telefon. Im Fauteuil der quadratischen Wohnzimmerschachtel ergibt er sich dem ganz normalen Kriegstreiberfeierabend (Bühne von Johannes Hoffmann, Maria Klupp und Stephan Schwarz).

Er trinkt aus dem "M"-Häferl, die Frau wedelt brünstig das Zimmer sauber und der Sohn, ja der schmiedet in Übersee (Italien) nach Nachtklub- neue Geburtenstationspläne. Auch das Farbspektrum seiner neuen Kontaktlinsen kommt im familiären Disput nicht zu kurz.

Toxic dreams geht über die Darstellung einer witzigen Homestory aber flott hinaus und gelangt an einen in der hiesigen Szene selten gesehenen Punkt von Kunstfertigkeit in der Zeichensprache: Das an Richard Maxwells Singtheater erinnernde, weitgehend mimiklose, puristisch choreografierte Spiel der Schauspielerinnen (auch die Männerrollen werden von Frauen gespielt: Irene Coticchio, Michaela Hurdes-Galli und Elisabeth Prohaska) macht die schönsten Umwege:

Frau Milosevic köpfelt mit ihrem Wohnzimmersturzhelm die Wandteller in genauen Angriffsposen von den unvermeidlichen 70er-Jahre-Tapeten. Sohn Marko knotzt durchgehend im Stehsolarium, und Slobodan nimmt seinen Schatz gleich mit dem ganzen Fauteuil. So viel Liebe in Zeiten des Krieges!

Regisseur Yosi Wanunu gibt über Mikrofon Anweisungen für den Seriendreh: "More aggression, please!" Die ganz im Understatement entworfene Studiosituation mit Lach- und Klatschsignalen ans Publikum ist dennoch nie peinlich.

In den Drehpausen wechseln Slobodan, Mira und Marko in die Lonesome Andi Haller Band, um dort eigens komponierte Milosevic-Songs zu singen - swingende, elegische Lieder vom Leben mit dem Krieg, jenseits des Sag- und Fühlbaren: "You, me and the next war." Eine explizit herausragende Arbeit.(DER STANDARD; Printausgabe, 8.11.2003)