Die Diagnose lautet auf unheilbaren Krebs. In Isabel Coixets leisem Filmmelodram "Mein Leben ohne mich" sorgt sie dafür, dass die junge Heldin ihr Leben mit verändertem Blick zu betrachten beginnt.
Wien – Anns Dasein läuft nach einem festgelegten Schema ab. In der Nacht arbeitet sie als Teil der Putzkolonne der Universität. In der Früh fällt sie neben ihrem Mann Don (Scott Speedman) ins Bett. Mit ihren beiden kleinen Töchtern lebt das Paar in einem Wohnwagen im Garten des Hauses von Anns Mutter (Deborah Harry), einer ob dem Lauf der Dinge zynisch gewordenen Frau.
Es sind ärmliche, aber keine gänzlich tristen Verhältnisse, die Isabel Coixet zu Beginn von Mein Leben ohne mich skizziert. Zeit zum Reflektieren bleibt für die 23-jährige Ann jedenfalls keine. Vielleicht sagt sie deshalb bloß zweimal "Wow", als sie erfährt, dass sie bald sterben wird – als wäre es ein Lotteriegewinn: Noch während sich die Ärzte über die Diagnose ihres Krebses beraten, denkt sie darüber nach, wer nun die Kinder von der Schule abholt.
Eine Figur mit ihrem baldigen Tod zu konfrontieren führt im Kino oft dazu, dass die Bilder des Lebens eine neue Wertigkeit erfahren: Insofern muss man auch Mein Leben ohne mich weniger als Film über das Sterben betrachten als einen über die Rückeroberung alles Gegenwärtigen. Ann wird sich eine Liste darüber machen, welche Dinge vor ihrem Tod noch zu erledigen sind: Geburtstagsglückwünsche für die Töchter; eine neue Frisur; mit einem anderen Mann schlafen; ihn dazu bringen, dass er sich verliebt.
Ann wird von der zurückhaltend agierenden Sarah Polley (The Sweet Hereafter, eXistenz) sehr nuanciert verkörpert – Coixet, spanischer Herkunft, hat Mein Leben ohne mich hauptsächlich mit englischsprachigen Darstellern in Kanada gedreht. Das Working-Class-Milieu wirkt dort, den Filmen Ken Loachs ähnlich, besonders rau. Trotz des sozialrealistischen Settings geht es Coixet jedoch von Anfang eher darum, die Lebensumstände zu transzendieren.
Heimlicher Tod
Dass es hier das äußerste Mittel braucht, um einen veränderten Blick auf das eigene Dasein zu entwickeln, ist kritisierbar, wird aber konsequent umgesetzt. Denn Ann entscheidet sich dafür, niemandem von ihrer Krankheit zu erzählen. Mein Leben ohne mich umgeht damit nicht nur verbale Auseinandersetzungen über das Sterben.
Stattdessen begleitet Coixet ihre Protagonistin durch ihre letzten Wochen, zeigt eine pragmatische Heldin, die sich daran macht, ihre Vorhaben in die Tat umzusetzen. Immer mehr verlagert der Film seinen Blick ins Subjektive, verharrt auf Großaufnahmen, auf sinnträchtigen Momenten und Handgriffen – oder lässt die Kunden eines Supermarkts zu Gino Paolis Senza Fine in den Tanz übergehen.
"Es gibt keine normalen Menschen", sagt Ann dann einmal zu ihrer Mutter. Meine Leben ohne mich übersetzt diese Auffassung in mehreren Begegnungen: Ob die von Diäten besessene Kollegin (Amanda Plummer), der schüchterne Arzt oder der Einzelgänger Lee (Mark Ruffalo), mit dem Ann eine verhaltene Liebesaffäre eingeht – ihnen allen verleiht Coixet leicht exzentrische Züge.
Man mag dem Film vorhalten, dass er sich ein wenig zu forciert nach Harmonie sehnt, wenn Wünsche hier noch in Erfüllung gehen. Doch Anns Vorkehrungen werden von Coixet recht umstandslos inszeniert. Sie betont die Zielstrebigkeit, ohne reale Hindernisse aus den Augen zu verlieren. Wer nichts mehr zu verlieren hat, gewinnt eben manchmal alles.
(DER STANDARD, Printausgabe, 5.11.2003)