Christian Schachinger

Wien - "Und die Scham fiel auf ihre Seite, wir können sie schlagen für alle Zeiten . . ." Heute nicht mehr. Die Krieger wollen heim ins Bett. Auch der Mann, der vom Himmel fiel, muss einmal schlafen.

Leicht mit dem Wachbleiben hatte es David Bowie den gut zehn tausend Leuten in der Wiener Stadthalle schon vorher nicht gemacht. Bei diesem einen 25. Song war aber dann endlich alles klar: Dort oben steht eine sackmüde Tanzpartie aus saturierten, im Wesentlichen für Geld und nicht wegen der Liebe Dienst schiebenden Musikern, die man sonst im Ballsaal irgendeines Nobelhobels nach Mitternacht dabei erleben kann, wie dann endlich nach Griechischer Wein und Strangers In The Night kurz vor dem Kehraus noch der Rocker ausgepackt wird: I can't get no satisfaction! Ja, schon, aber du hast es ja gar nicht versucht.

Der Rocker, den man auf der gut von hinten ausgeleuchteten Bühne am besten sieht (eitel bin ich, jünger werde ich nicht), sieht dazu aus, wie wenn sich ein leicht verkommener Graf Bumsti für eine Grillparty seiner bürgerlichen Frau als Bruce Springsteen verkleiden würde.

Postmoderner Reisig

Allerdings wird ihn trotz schwarzer Jeanshosen und vom Diener extra vorher noch ausgelatschter Semperit-Turnpatschen jeder trotzdem gleich als Fremdkörper erkennen. Man besetzt ja etwa Hugh Grant auch nicht als sizilianischen Bauarbeiter. Die schick abgefuckte Designerjacke, der überkandidelte Upperclass-Akzent, in Wien nennt man das "ein wenig gebacken".

Der Mann, der dort unter irgendwie postmodern von der Decke hängendem Birkenreisig auf einem Catwalk aus Metall, der aussieht wie ein nacktes Sofa von Franz West, und auf allerhöchste Unschärfe eingestellten Videowänden durch den Saal geistert, tut jetzt so, als ob er David Bowie wäre. Der wiederum tut so, als ob er nicht David Bowie, sondern ein ganz normaler Mensch wäre, der David Bowie nachmacht, wenn dieser sich nicht verkleidet, sondern schnell vor die Tür Zigaretten holen geht.

Das klingt nicht nur kompliziert, das hört sich vor allem auch genau so hintenrum konzeptig an, wie der besagte 25. Song. Die neueste Pose des Mannes, der aussieht wie David Bowie, ist es, sich als Durchschnittsmensch zu verkaufen, mit dem man gern einen draufmacht. Möglicherweise ist das die bis dato per- fideste Art dieser außerirdischen Rasse von Ziggy Stardusts vom Planeten Kunst, über den Wirtskörper des wieder auf die Erde heimgeholten Major Tom die Menschheit zu assimilieren. Kampfstern Bowie dockt an und spendiert eine Runde.

Was hier also in der 25. Nummer erst daherkommt wie ein Boogie-Woogie aus dem Rolling-Stones-Songbook für Eilige und dann übergeht in einen Orgelteppich, bei dem alle zehn Finger mit Superkleber auf den Tasten picken und die Gitarre mehr elend als schneidig jault, ist tatsächlich eine Karaoke-Version von einem der besten Songs aller Zeiten.

Der Mann, der so aussieht wie David Bowie, knödelt sich müde-jovial die Wiener Bäuche rockend nach einer größten und weniger größten Hit-Schau zwischen Rebel, Rebel, Fame, Ashes To Ashes, Changes und leider auch Let's Dance und Under Pressure durch Heroes. Den Massen predigt man heute am besten bei einem Stadionrock-Konzert. Die Vortragskunst sollte dabei lieber auf Nägel mit Köpfen als auf eine feine Klinge setzen.

Die Tanzkapelle aus dem Restaurant am Ende des Universums ächzt und rumpelt dazu wegen der vielen Überstunden bezüglich der Unterwanderung der Menschheit unglaublich müde durch eines des in seiner unendlichen Traurigkeit eigentlich erhabendsten Stücke Musik, mit der man je der Menschheit für fünf, sechs Minuten vorgaukeln konnte, dass unser Planet nicht bereits in der kurzen Frist von einer Million Jahre oder so mittels Sprengung einem intergalaktischen Autobahndreieck weichen muss.

Irgendwie haben wir Menschen zwar aufgrund unserer Sterblichkeit langfristig sowieso keine Chance. Aber selten hat es uns so schön die, nun ja, "Gänsehaut der Hoffnung" aufgezogen wie bei diesem Song. Gott, jetzt bleckt der Mann, der so aussieht wie David Bowie seine Zähne! Lachen aber heißt auf dem Planeten Kunst: zum Teufel beten! Zumindest bei den Zugaben klingt die Band dann endlich so schnittig, wie es schon vor zwei Stunden hätte sein sollen: Hang On To Yourself, Sufragette City, der Triumph von Ziggy Stardust.

Die Lieder aus der Zeit, als Raumschiffe noch mit Heroin betrieben wurden, klingen immer noch besser als der hier im tranigen Midtempo gebotene digitale Computer-Operetten-Schwulst von The Motel oder Loving The Alien. Ein neues Stück des Mannes, der am Ende so aussieht, wie David Bowie, wenn er am liebsten im Bett geblieben wäre, heißt: Never Get Old. Draußen im Weltraum hört man niemanden lachen.