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Kühe gehören zu des Menschen wichtigsten Nutztieren, dennoch hat sie die internationale Forschung in Bezug auf individuelle Stressbewältigung bisher weit gehend ignoriert und sich lieber mit Schweinen oder Geflügel befasst. Ein vom Wissenschaftsfonds unterstütztes Projekt der Veterinärmedizinischen Universität Wien unter der Leitung von Susanne Waiblinger leistete nun erste Grundlagenarbeit zu so genannten Coping-Strategien bei Kühen, also wie die Tiere mit Stresssituationen zurechtkommen.

Für soziale Tiere, wie Rinder es sind, stellt Intensivhaltung eine nicht zu unterschätzende Belastung dar: Das Platzangebot ist begrenzt, die Herdengröße - und damit die Konkurrenz zwischen den Tieren - steigt mit der Produktionsintensität des jeweiligen Betriebes, und es kommt zu häufigen Änderungen in der Zusammensetzung der Herde. All das sind Stressfaktoren, die sich negativ auf Wohlbefinden, Gesundheit und Leistung auswirken können.

Im Zuge des Projektes wurden eine intensiv gehaltene Milchkuhherde mit häufigem Tierwechsel und hohem Leistungsniveau und eine Mutterkuhherde mit stabilem Herdenverband untersucht. In beiden Herden wurden Verhaltensstrategien und soziale Bindungen zuerst unter "alltäglichen" Bedingungen und danach in verschiedenen besonderen Stresssituationen beobachtet. Gleichzeitig wurden die Herzfrequenz und der Gehalt an Stresshormonen (Cortisolmetaboliten) im Kot als physiologische Parameter erfasst.

Das Ergebnis waren drei unterscheidbare Strategien: Die ranghohen Kühe bildeten jeweils eine Gruppe mit "aggressiver" Strategie, während sich die restlichen, rangniedrigen Kühe in zwei unterschiedliche Strategiegruppen aufteilten, und zwar in "nicht agonistisch" (nicht aggressiv) und "agonistisch unterlegen". Die nicht agonistischen Tiere gehen Auseinandersetzungen aus dem Weg beziehungsweise verringern gegen sie gerichtete mögliche Aggression durch "freundliches" Verhalten wie soziales Lecken. Im Unterschied dazu legen sich "agonistisch unterlegene" Tiere oft mit anderen an, ziehen aber meistens den Kürzeren. Gleichzeitig sind sie rastloser, liegen weniger und wechseln häufiger den Platz als nicht agonistische Rindviecher.

Wie sich herausstellte, behalten die Kühe ihre jeweilige Strategie auch in sozialen Stresssituationen bei. Unter nicht sozialem Stress, wie dem Arena-Test, bei dem die Tiere isoliert in eine fremde Umgebung gebracht werden, und dem Handling-Test, bei dem an der festgebundenen Kuh eine Augenuntersuchung vorgenommen wird, sehen die Verhältnisse anders aus: Hier ergab sich eine grobe Aufteilung in zwei Typen, nämlich eher proaktive (forschere) und eher reaktive (zurückhaltendere) Tiere. Inwieweit diese Verhaltenstypen mit grundlegenden Unterschieden in der Produktion von Stresshormonen und der Stressphysiologie wechselwirken, sollen kommende Untersuchungen von Geburt an zeigen.

Der Arena-Test brachte außerdem ein interessantes Ergebnis, das für die artgerechte Tierhaltung sehr wichtig ist: Die Kühe regen sich merklich weniger auf, wenn eine "Freundin" - das heißt: eine Kuh, mit der sie oft positive Sozialkontakte haben - anwesend ist. Das legt nahe, häufige Umgruppierungen der Herde und damit eine Trennung von Bindungspartnern, wie sie derzeit üblich sind, möglichst zu vermeiden. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25./26. 10. 2003)