Wenn am 1. November der Franzose Jean-Claude Trichet Duisenbergs Amt übernimmt, liegt es an ihm, die beiden aktuellen Hauptkritiker der bestehenden europäischen Anti-Inflationsregeln abzuwehren: den amtierenden EU-Ratspräsidenten und italienischen Premier Silvio Berlusconi und den deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder.
"Wachstum müsse Vorrang haben"
Letzterer hielt es zu Wochenbeginn vor dem Bundestag für überflüssig, in die künftige EU-Verfassung auch den Vorrang der Preisstabilität aufzunehmen. Ersterer meinte wenig später im EU-Parlament, Inflationsbekämpfung müsse überdacht werden, wenn die Wirtschaft stagniere.
Das Argument, Wachstum müsse Vorrang haben, bringen beide vor. Schröder jedoch will zumindest vorgeblich am geltenden Recht nichts ändern: Der Auftrag an die EZB, die Preisstabilität zu wahren, stehe schließlich bereits im EU-Vertrag von Maastricht und gehöre daher nicht auch noch in die Verfassung.
In deren vom EU-Reformkonvent erarbeiteten Entwurf taucht Preisstabilität als "vorrangiges Ziel" immerhin gut ein halbes Dutzend Mal auf. Nicht umsonst, soll doch die künftige Verfassung die geltenden europäischen Verträge - also auch den von Maastricht - ersetzen. Schröders formales Argument weckt also Zweifel, ob er an einem der Grundbekenntnisse deutscher Politik festhalten will: Inflationsbekämpfung über alles - diese Maxime hatte sein Vorgänger Helmut Kohl in den EU-Vertrag hinein reklamiert, um den Deutschen den Verzicht auf die D-Mark abzuringen.