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Abbey Lincoln

Foto: REUTERS/Prammer
Der Markt des jazzigen Gesanges boomt und produziert auch manche Seltsamkeit: Neuheiten von Abbey Lincoln, Nana Mouskouri, Cassandra Wilson und Silje Nergaard


Nichts gegen Norah Jones, Diana Krall, Jane Monheit und all die anderen jungen Sangesdamen, die nun schon eine Weile die Mainstreamwälder durchforsten, um eine ferne Jazzzeit zu finden. Jene Zeit, da Sarah Vaughan, Ella Fitzgerald, Carmen McRea und Billie Holiday ihre Erzählkunst in den Dienst von Alltagsträumen und gebrochenen Herzen stellten. Diese auf der gegenwärtigen Trendwelle schwimmenden Jungen stellen zwar zumeist Geschichte nach, so sie nicht einen Mix aus Jazz, Blues, Pop und Folk versuchen. Sie können dennoch mitunter glaubwürdigen Erzählcharme entfalten. Allein, an den Originalen kommt man nicht vorbei. Zudem: Es gibt sie noch, jene Damen, die einen großen Teil der Jazzgeschichte live miterlebt haben und auch heute noch davon singend plaudern können. Und noch die Chance bekommen, ihre Weisheiten zu veröffentlichen.

Abbey Lincoln begibt sich mit ihrer durchaus nicht dienstbaren, anspruchsvollen und vom Text her entwickelten Kunst auf it's me (Universal) in ein Klangambiente, in dem Streicher und obligater Swing gediegene Mainstreamatmosphäre verbreiten. Mag sein, ein kleines Zugeständnis an den schmuseweichen Retro-Zeitgeist. Aber, wer sich auf diese ungeschminkte Art zu Singen einlässt, erlebt, wie Leben und Kunst zu Timbre werden. Die poetische Entführung aus dem Alltag war seit jeher natürlich eher bei Helen Merrill gut aufgehoben: Ihre zurückgelehnte, verträumte Phrasierungskunst, gepaart mit dem enigmatischen, samtig-rauchigen Sound macht sie zur weisen Fee der Liedminiatur. Was sie anpackt, wird zum einlullenden Wiegenlied, das in eine melancholisch-wohligen Wachschlaf versetzt. Immer schwingt da ein Geheimnis mit. Auch hier: Schmusearrangements nützen dem nicht immer, aber wenn Merrill auf Lilac Wine (Universal) "wild is the wind" singt, wird Schmerz zur eleganten musikalischen Phrase.

Alter macht indes nicht nur musikalisch weise, sondern auch nostalgisch und dann mitunter etwas kühn, garantiert also an sich für nichts . . . Na ja, beflügelt von der Wiederveröffentlichung ihres New-Yorker-Albums aus den 60er-Jahren, das Quincy Jones produzierte, begab sich Schlagerdarstellerin Nana Mouskouri wieder auf die Jazzbühne und nun liegt das Ergebnis als "Live in Jazzopen Festival" (Universal) vor und demonstriert, dass sich hier jemand nicht damit abgefunden hat, dass sich seine stimmlichen Möglichkeiten längst verabschiedet haben. Weil sich hier stimmliches Unvermögen mit reduzierter Geschmackssicherheit vereint, stehen wir vor einer lächerlichen Karikatur des Jazzstandard-Repertoires. CD-Missverständnis des Jahres.

Glück für Silje Nergaard, dass Mouskouri gesungen hat! Sie versucht wie eine kindliche Billie Holiday zu klingen, und so wird "Nightwatch" (Universal) zum Dokument einer vokalen Verstellung. Zum Schluss gehen wir ungefähr zwanzig Oktaven tiefer: Cassandra Wilson will sein, was sie ist, eine wunderbare Schlafwandlerin in den Gärten der Songs. Ihr ganz eigenes Zeitempfinden kann Popsongs, Jazzstandards eine ganz spezielle Tönung verleihen. Mit "Glamoured" (EMI) ist ihr wieder etwas gelungen, auch wenn ihre patzweichen Lagerfeuer-Arrangements endlich einmal pausieren sollten. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, rondo/24/10/2003)